13. August: Unterzips und ein kurzer Ausflug nach Ungarn

Für gestern hatte ich mir einen Besuch in der Unterzips vorgenommen, wo ich schon einmal war, allerdings 1994. Bei einem solchen zeitlichen Abstand vergleicht man unwillkürlich zwischen damals und heute – und wundert sich manchmal, wie unpräzise die Erinnerungen sind.
Als erstes hatte ich mir Gelnica/Göllnitz vorgenommen, eine alte Bergbaustadt, die etwa eine Dreiviertelstunde Fahrt von Spišská Nová Ves ist. Damals vor 22 Jahren habe ich einen Anhalter mitgenommen, der sich als Förster aus Gelnica entpuppte und deutscher Abstammung war, ohne allerdings noch Deutsch zu sprechen. Er hat mir einiges über den Bergbau und die Vergangenheit der Stadt erzählt. Gelnica selbst hatte ich als völlig eben in Erinnerung, mit einer Kirche in der Mitte, an der noch deutsche Grabsteine waren. Diesmal habe ich als erstes die Einfahrt in die Stadt verpasst, aber als ich dann drin war, stellte ich fest, dass alles sehr hügelig – und die bewusste Kirche habe ich nicht gefunden. D.h. ich habe eine Kirche gefunden, die aber nicht zugänglich war, man kam nicht einmal auf den Hof (es war übrigens eine katholische Kirche!), konnte aber von außen sehen, dass die Kirchentüren offen und die Kirche festlich geschmückt war.
Auf dem Weg in die Stadt (ab der Kirche zu Fuß) fielen mir dann schwarz gekleidete ältere Herren auf, zunächst einzeln, dann in ganzen Rudeln. Bald dämmerte mir, dass es sich um Bergleute handelte, und ganz offenkundig waren sie wegen einer Veranstaltung gekommen. Ich ging dann zum „Haus des Bergbaus‟ (Bánsky dôm), wo heute ein Museum ist, dort war noch mehr los. Und ein Plakat an der Türe informierte darüber, dass am 12. und 13. August das 9. Treffen der Bergstädte und -gemeinden der Slowakei stattfindet. Am 12. waren verschiedene Stollen zur Besichtigung geöffnet, am 13. sollte um 12:45 an dem Denkmal vor dem Berghaus eine Kranzniederlegung mit einem Auftritt des Karpatendeutschen Vereins Gelnica und einer Ansprache stattfinden, gefolgt von einem Festzug. Und da wollte ich natürlich dabei sein!
Da noch etwas Zeit verblieb, bin ich auf den Jahrmarkt gegangen, der unterhalb des Berghauses auf mehreren Straßen stattfand, mit Verkaufsständen, Essen und Trinken. Überall sah man fröhlich bechernde Bergleute, durchwegs ältere Semester, ich habe mich dann mit einem Lángoš begnügt, auf den ich länger warten musste, weil die Dame in der Schlange vor mir sechs Lángoše kaufte, und jeden mit anderer Belegung (zur Auswahl standen Knoblauch, Käse, Tatarensauce und Ketchup, man konnte die aber auch mischen…).
Um 12:30 ging ich wieder zum Berghaus und lief zwischen den dort schon zahlreich versammelten Bergleuten hin und her, immer bestrebt, ihre Gespräche zu belauschen. Ich hörte aber nur Slowakisch, ein einziges Mal Tschechisch. Verschiedene Gruppen mit besonders auffälligen Trachten verdächtigte ich, Deutsche zu sein, aber überall Fehlanzeige. Zu denken gab mir dann auch, dass eine Reihe Jugendlicher mit Schildern herumlief, auf den Rakúsko(Österreich), Maďarsko (Ungarn) u.Ä. stand, das legte den Verdacht nahe, die betreffenden Länder nicht wirklich vertreten waren.
Um 12:45 ging es dann wirklich los, mit dem Auftritt eines Chors, der auf Deutsch Glückauf, glückauf, der Steiger kommt sang, Der Chor bestand aus älteren Damen und einem Dirigenten, die von der Altersklasse her durchaus als Deutsche in Frage kamen. Und auch die Aussprache war recht gut (ü und ö wurden beherrscht), aufgefallen ist mir nur die Stelle, als sie „ins Bergwerk‟ sangen (das klang wie inz bergverk). Auf zwei Lieder folgte die Begrüßung durch den Bürgermeister, der den Festredner vorstellte. Es handelte sich um den Urenkel des Bürgermeisters Rudolf Dirner, der 1933 die Statue des Bergmanns hatte aufstellen lassen, und er wurde vorgestellt als Vojtech Dirner. Herr Dirner sprach in gewandtem Slowakisch – was nicht nur mich verwunderte, sondern auch die Umstehenden, die dann gleich rätselten, wo er wohl lebt. Das habe ich inzwischen nachgeschaut, Herr Vojtech Dirner ist Professor für Umweltingenieurwesenan der Bergbauuniversität Ostrava.
Die Ansprache endete zünftig mit dem Ausruf zdar Boh – Glückauf – jó szerencsét – zdař Bůh, dann folgte ein weiteres Lied. Ich versuchte, Herrn Dirner abzufangen, aber das war nicht möglich, weil zu viele Leute mit ihm sprechen wollten. Statt dessen sprach ich den Chorleiter an und fragte ihn auf Tschechisch, ob es sich um einen deutschen Chor handle. Das hat er bejaht, worauf ich gleich ins Deutsche wechselte. Wir haben uns länger unterhalten, über die Lieder, die sie singen (sie singen fast nur deutsch, „die slowakischen überlassen wir den Slowaken‟), über das Schicksal der Minderheit (die meisten sind deutlich über 60), die Sprachpolitik (er sagte, die Sprache sei in den sechziger, siebziger Jahren verboten gewesen), über die Orte, wo noch Karpatendeutsche wohnen (er selbst ist nicht aus Göllnitz, sondern aus Einsiedel / Mnich nad Hnilcom), und schließlich waren wir bei dem Thema, das kein Karpatendeutscher auslassen kann, bei den „Zigeunern‟. Die breiteten sich überall aus, hätten viel mehr Kinder als die anderen und sprächen ihre eigene Sprache (das hat mich gewundert, aber ich habe nicht nachgefragt). Aber er sagte das gar nicht gehässig oder mit dem Unterton, sie sollten verschwinden, eher leicht klagend und resigniert, wie sich die Zeiten geändert haben. Sein Deutsch war ziemlich standardnah (er erwähnte auch, dass er studiert hat), das einzige wirklich dialektale Wort, das er mehrfach verwendete, war Dål für Tal.
Dann habe ich mir noch einige Zeit den Festzug angeschaut, der aber nie richtig in Gang kam, bzw. nur in kleinen Gruppen. Besonders nett fand ich die Zwerge, aber es gab auch ein Königspaar u.a.m. Und wie gesagt, alle waren Slowaken.
Nach einer Stunde bin ich gegangen und weitergefahren, nach Schmöllnitzhütte / Smolnická huta, einem Ort, wo ich 1994 das erste Mal war und gleich mehrere Sprecher des Deutschen getroffen hatte. Diesmal war der Ort völlig ausgestorben, so war ich kurz an der Kirchen und länger auf dem Friedhof, wo ich diesmal auch zwei Grabinschriften in einer fantastischen Orthografie wiedergefunden habe. Die hatte ich mir 1994 abgeschrieben und bei einem späteren Besuch nicht finden können.
Dann ging es weiter nach Medzev / Metzenseifen, wo das Deutsche noch am lebendigsten sein soll (über 20%) und wo es auch noch eine Schule gibt. Hier störte zur Abwechslung mal eine Hochzeit den Besuch der Kirche und ich bin bald weitergefahren. Ich habe nur noch das Hotel Pöhm gesucht, wo ich 1994 ein Erlebnis hatte, an das ich mich immer wieder erinnere. Ich suchte damals ein Hotelzimmer und kam in das Hotel Pöhm, wo ein junger Mann an der Rezeption meinte, sie hätten zwar freie Zimmer, aber sein Chef sei gerade in Bratislava und er könne mir deshalb kein Zimmer geben. Als ich anfing zu argumentieren, dass es doch gerade im Interesse des Chefs sein sollte, dass die Zimmer vermietet werden, mischte sich ein junger Roma ein und meinte, er kenne den Chef auch und wisse, das mit ihm nicht zu spaßen ist. Damals bin ich weitergefahren, gestern habe ich festgestellt, dass das Hotel geschlossen ist – das Verfahren von damals hat sich eben doch nicht bewährt.
Relativ spontan entschloss ich mich dann, über die nahe Grenze nach Ungarn zu fahren und mir in Sárospatak, einem schönen Ort mit Schloss der Rákoczis und einem Kollegium, wo Comenius gelehrt hat, ein Zimmer zu suchen. Die Fahrt verlief glatt, sehr beeindruckend war der Grenzübergang, ohne jede Kontrolle am Ende eines Waldes. Und die ersten Kontakte mit Ungarn (beim Tanken) liefen auch ganz gut. Ich sollte hier nun auch endlich mal gestehen, was es mit dem Ungarischen auf sich hat. Ich lerne nämlich seit März heimlich Ungarisch, mit einem Internetprogramm und habe inzwischen auch schon einen gewissen Wortschatz (und Grammatikkenntnisse), aber es war schon die Frage, wie das dann in freier Wildbahn funktioniert. Wie sich zeigte, kann ich doch einige Aufschriften lesen und in längeren Sätzen kenne ich zumindest 1-2 Worte, nur mit dem Sprechen bin ich noch sehr ängstlich.
In Sárospatak zeigte sich aber schnell, dass ein Spontanbesuch in Ungarn keine gute Idee ist. Die Gegend scheint eine Ferienregion zu sein, ist auch sehr überlaufen, u.a. von Polen (das merkte ich, als ich auf einmal an mehreren Stellen polnische Aufschriften las), und ohne Vorbestellung kaum zu bereisen. Ob bessere Ungarischkenntnisse helfen würden, ist nicht sicher, aber man käme dann wenigstens ins Gespräch. Mir war jedenfalls bald klar, dass ich noch nicht reif für Ungarn bin, nach Abklappern mehrerer Hotels in Sárospatak habe ich es noch in Sátoraljaújhely probiert, ebenfalls ohne Erfolg, und bin dann lieber in die Slowakei zurückgefahren. Die nächste größere Stadt hier ist Trebišov, das sich als eine relativ unpersönliche und hässliche Stadt mit Hochhäusern und breiten Straßen herausstellte. Auch hier musste ich lange nach einem Hotel suchen, erfuhr dann aber von einer Passantin, dass es eines wenigstens gebe, neben dem Tesco.
Beim Einparken stürmten zwei dunkle Gestalten auf mich zu, zwei junge Roma, die mich um Kleingeld baten und ihre Hilfe anboten: Ujo, môžeme merkovať Vaše auto (Onkel, wir können Ihr Auto bewachen), mit einem schönen deutschen Verb. Ich habe mir nur den Weg zum Hotel zeigen lassen und ihnen dann am Schluss doch Kleingeld gegeben, wobei der eine ziemlich enttäuscht war, dass er weniger bekam als der andere – aber ich habe halt jedem eine Münze gegeben und hatte keine zwei gleichen. Im Hotel bekam ich angeblich das letzte Zimmer, ein riesiges Apartment (sogar mit Kinderbett), aber immer noch bezahlbar. Und irgendwo in der Nähe gab es auch eine Gaststätte, in der ich noch etwas gegessen habe, bevor ich ins Bett gesunken bin.
Die ersten Bergleute, die ich erblickt habe

Bergmannsstatue vor dem Museum

Jugendliche Bergleute

Bergleute mit Federn auf dem Hut

Zwerge

Chor und Prof. Dirner
Festzug

Festzug

Kriegerdenkmal von Schmöllnitzhütte
Grabstein aus Schmöllnitzhütte
Grabstein aus Schmöllnitzhütte

Medzev

Hochzeitszug in Medzev

Hotel Pöhm in Medzev

Grenzübergang nach Ungarn

1 Kommentar

  • Na sehr schön, da lernst Du also seit März schon heimlich Ungarisch! Sárospatak hatte übrigens auch ein Zwangsarbeitslager für Juden, der deutsche Name dafür soll unter anderem auch Potok am Bodroch gewesen sein (zumindest nach der Bundesarchiv.de-Seite). Die Slowaken nannten den Ort offenbar auch Blatný Potok. Und schön ist die Übersetzung von Sátoraljaújhely als Neustadt am Zeltberg bzw. Nové Mesto pod Šiatrom (so zumindest auch in der deutschen Wikipedia). Herzliche Grüße nach Trebišov / Trebischau / Tőketerebes und einen schönen Wochenbeginn aus der Mährischen Wallachei!

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