14. August 2015: Leżajsk und Jarosław

Gestern wollte ich die Gegend östlich von Łańcut besichtigen, im Prinzip die Städte Leżajsk, Jarosław und Przemysł. Da es wieder so heiß war (wenn auch nach Thermometer mit 31° vier Grad „kühler“ als an den Vortagen), bin ich dann doch von Jarosław zurückgefahren und schaue mir Przemysł morgen an.

In Leżajsk gibt es im Prinzip zwei Sehenswürdigkeiten, nämlich erstens das Ende des 15. Jahrhunderts gegründete Bernhardinerkloster mit Kirche von 1618 und zweitens den jüdischen Friedhof mit der Grabstätte von Rabbi Elimech von Lyschank. Das Bernhardinerkloster war schnell gefunden. Es steht am Ende des Orts wie ein riesiger Klotz in der Landschaft. Inmitten des Komplexes steht die Kirche, aus der ich zunächst gleich wieder herausgegangen bin, weil dort eine

Das Bernhardinerkloster von Leżajsk

Andacht mit einem Pater stattfand. Als ich etwas später durch eine andere Türe wieder hineinschaute,

Batterie von Beichtstühlen, noch
ohne Bernhardiner

stellte ich fest, dass derselbe Pater eine große Gruppe führte – offenbar fangen hier Klosterführungen mit einer Andacht an. Die Kirche ist sehr schön ausgestattet, mit Fresken und der barocken Orgel, die auch noch aus dem 17. Jahrhundert stammt, über 6000 Pfeifen hat und angeblich eine der größten Orgeln

Inneres der Kirche

Europas sein soll. Etwas verschreckt hat mich die Batterie von Beichtstühlen im Umgang des Klosters, ich habe mir gleich vorgestellt, wie das wohl heute (an Mariä Himmelfahrt) aussieht, wenn in jedem Beichtstuhl ein Bernhardiner sitzt und auf Gläubige wartet. Vor dem

Orgel

Kloster stand schon eine riesige Bühne für den heutigen Festgottesdienst. Ich war dann noch kurz im Devotionalienladen, wo ich gerne Postkarten gekauft hätte – aber keine Chance! Es gibt nur Karten mit religiösen Motiven, z.B. dem Hl. Johannes Paul, aber auch die könnte man nicht verschicken, weil auf der Rückseite Gebete aufgedruckt sind. So verließ ich das Kloster, um nach dem jüdischen Friedhof zu suchen.

Der Friedhof war nicht einfach zu finden, aber er stand immerhin auf dem Stadtplan am Markt. Ich fand ihn dann ganz nahe beim Stadtzentrum, als Teil eines Wäldchens.

Der júdische Friedhof

Natürlich war er verschlossen, aber inzwischen habe ich ja Routine im Anrufen der zuständigen Leute. Es ging auch gleich ans Telefon, fragte mich, ob ich Jude bin (das war das erste Mal!), und versprach, jemanden zu schicken. Nach einer gewissen Zeit kam von der Stadt her ein kleiner Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose und winkte mir zu. Als er näher kam, sah ich auch, dass er eine Kippa trug. Er sprach mich gleich auf Englisch an, ich antwortete auf Polnisch, und dann sagte er den schönen Satz „I do not speak English“. Natürlich meinte er, dass kein Polnisch kann, und sieh da, es war ein Israeli, der mit seiner Frau für ein halbes Jahr nach Leżajsk gekommen ist, um ein Gästehaus für jüdische Besucher zu betreiben. Zu welcher Gruppe er gehört, hat er mir nicht verraten, er hat nur verneint, zu Chabad zu gehören (das ist die größte und in gewisser Hinsicht problematischste chassidische Gruppierung).

Ich fragte ihn dann, ob er vielleicht auch Jiddisch könne, das hat er bejaht. Und dann hat er mich auf

Grab von Elimelech
von Lyschank

Jiddisch geführt, mit englischen Einsprengseln (z.B. sagte er immer cemetery, was auch gut zu verstehen ist, denn im Jiddischen verwendet man hier hebräische Ausdrücke). Sein Jiddisch war sehr gut verständlich und dem Deutschen ziemlich nahe, vermutlich eine Art Hochjiddisch. Wie er sagte, versteht er das poilische Jiddisch auch nicht so gut, seine Eltern seien aus Ungarn gekommen. Er hat mir dann den Ohel aufgeschlossen, in dem Rabbi Elimelech (1717–1787) liegt, der dritte große Rabbiner der Chassidim nach dem Begründer Baal Schem Tov und seinem Nachfolger Rabbi Dow Bär von Mesritsch. Elimelech von

Ohne Worte

Lyschansk ist also noch bedeutender als die anderen Rabbiner, an deren Gräber ich war, und das merkt man auch. Sein Grab befindet sich in einem goldenen Rahmen (wie ich später gelesen habe, ist er aus Gold), wieder lagen dort jede Menge kwitele, und es kommen Besucher aus der ganzen Welt. Wie mein Begleiter mir sagte, waren am Vortag 500 Juden da, und so geht es wohl das ganze Jahr. Er hat mir auch die Theologie von Elimelech nahezubringen versucht, das war natürlich ein bisschen schwierig. Aber als ich gestanden hatte, dass ich hebräische Schrift lesen kann, haben wir eine Inschrift zusammen gelesen und den Anfang eines Psalms, den ich sogar verstanden habe. Er hat mir dann noch genau erklärt, wie man dawent (dawenen ist das jiddische Wort für ‚beten‘), und er hat mir berichtet, dass ihm manchmal Leute schreiben, dass er für sie am Grab von Elimelech beten sollen – und es hilft! Am Schluss hat er mir noch erzählt, dass der Friedhof von der Nissenbaum-Stiftung renoviert wurde und auf ihre Kosten instandgehalten wird. Da ergab sich eine unerwartete Verbindung zu einem viele Jahre zurückliegenden Erlebnis. Siegmund Nissenbaum (1926–2001), der den Holocaust zusammen mit einem Bruder überlebt hat, lebte nämlich nach dem Krieg in Konstanz, wo er u.a. die jüdische Gemeinde aufbaute. Und ich habe ihn einmal getroffen, als er während des Kriesgrechts 1983 (?) Ferien für polnischen Kinder organisierte und Leute suchte, die dolmetschen konnten. Ich war aber nur einmal dabei, weil mein Polnisch damals noch schlechter als heute. D.h. ich konnte zwar reden, habe die Kinder aber nur schlecht verstanden. Mein Gesprächspartner erzählte mir dann noch, dass vor ein paar Tagen Leute seiner Gruppe nach Konstanz zur „Jahrzeit“ von Sigmund Nissenbaum gefahren sind, um an seinem Grab das Kaddisch zu singen, natürlich zu zehnt.

Casablanca!

Schließlich habe ich mich verabschiedet, habe mir am Hauptplatz noch ein paar Schuhe gekauft und bin in Richtung Jarosław gefahren. Das Mittagessen habe ich an der Straße in einer Gaststätte namens „Casablanca“ eingenommen, die aber sicherheitshalber schon auf dem Firmenschild versichert, dass es dort auch polnische Küche gibt. Es gab letztlich nur polnische Küche, aber die laute amerikanische Musik gab doch eine Vorstellung davon, was sich die Besitzer wohl unter Casablanca vorstellen.

In Jarosław habe ich in der Innenstadt geparkt, an einem Gebäude, das sich später als das Renaissance-Rathaus herausstellte. Da es um einen Parkplatz ging, wo man etwas zahlen muss, habe ich länger nach einem Automaten oder einem

Rathaus von Jarosław

Parkwächter gesucht. Bis mir dann ein freundlicher Polizist sagte,

Blick über die Stadt

der Parkwächter (er heißt übrigens „parkingowy“) sei einkaufen und ich könne kostenlos parken. Neben dem Rathaus, das so modern ausschaut, dass man ihm die Renaissance nicht abnimmt, habe ich ein griechisch-katholische Kirche besichtigt, die Zeugnis davon ablegt, dass hier das ukrainische Siedlungsgebiet beginnt. Eigentlich gehörte Jarosław ebenso wie Przemył und sogar Leżajsk ursprünglich mal zum Kiewer Reich, alle diese Städte sind dann aber unter Kasimir dem Großen an Polen gekommen. Was nicht hinderte, dass sie in den folgenden Jahrhunderten und auch noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg sehr umkämpft waren. Ich habe dann verschiedene Kirchen besichtigt, die wenig Erinnerungen bei mir hinterlassen haben. Am interessantesten war wohl noch die Johanneskirche, neben einem ehemaligen Jesuitenkolleg. Die soll vom Ende des 16. Jahrhunderts sein, aber es gibt auch eine Kapelle mit lauter Gedenktafeln aus dem 20. Jahrhundert und dem ersten
Papstfresko, das ich je gesehen habe.

Papstfresko in der Jesuitenkirche

Dann war es, wie oben schon gesagt, so heiß, dass ich zurück nach Łańcut strebte. Lange habe ich nach einer Tankstelle gesucht, was insofern ganz lustig war, als ich immer wieder an einer im Bau befindlichen Tankstelle vorbeifuhr – was ich geradezu als Verhöhnung auffasste. Auf der Rückfahrt wollte ich noch einmal nach Markowa, allerdings war es zu spät für das Freilichtmuseum. Vielleicht kommt das heute an die Reihe, wobei aber abzuwarten ist, wie der Feiertag sich auf solche Dinge auswirkt.

2 Kommentare

  • Vielen Dank für diese spannende Schilderung! Bloß was die Orgel angeht, muss ich einschränken. Gerade aus Kladruby kommend (wo ähnlich Falsches über deren Orgel gesagt wurde), kann ich nur feststellen: Die Orgel ist zwar ohne Zweifel relativ groß, aber eben nur relativ.
    Gegen die Orgel im Dom St. Stephan in Passau mit ihren 17 974 Pfeifen kommt in Europa keine Kirchenorgel an. Die größte Orgel in Mähren ist übrigens jene in der St.-Mauritius-Kirche in Olmütz mit 10 400 Pfeifen und in Böhmen jene in der Kirche des Hl. Jakob des Älteren in der Prager Altstadt mit 8 277 Pfeifen. Unser Stephansdom hat eine Orgel mit immerhin 9092 Pfeifen, das sind damit um genau fünf weniger als jene der größten Schweizer Orgel in der Klosterkirche Engelberg mit 9.097 Pfeifen. Die größte Orgel Russlands steht in Kaliningrad und hat 8.535 Pfeifen. Was Polen angeht, so findet man die größte Orgel dort übrigens in der Bazylika Matki Bożej Bolesnej Królowej Polski in Licheń Stary (bis 2011: Stary Licheń; siehe auch: Licheń Stary czy Stary Licheń?). Das ist jetzt aber nur das Ranking nach der Anzahl der Pfeifen. Es gibt Hunderte unterschiedliche Rankings. All das findest Du auf der genialen Internetseite die-orgelseite Punkt de Schrägstrich kurioses .
    Würden im Übrigen die Polen ihre Franziskanerobservanten nicht Bernardyni nennen, sondern eben Franziskaner, würde die Batterie von Beichtstühlen mit wartenden Bernhardinern in jedem Beichtstuhl gleich viel weniger Angst einflößen, zumindest in Restkatholien.

  • Lieber Stefan,

    ich weiß schon, warum ich geschrieben habe, es sei "angeblich" eine der größten Orgeln Europas. Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter, und in Leżajsk kann man den Leuten vieles erzählen. Lass ihnen doch die Freude…

    Vielen Dank auch für den Kommentar zu den Bernhardinern. Endlich mal einer, der etwas dazu sagt, dass ich so gerne mit den beiden Bedeutungen spiele….

    Herzliche Grüße

    Tilman

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