14. August 2020: Passau – Hořice na Šumavě – Uherské Hradiště

Am Donnerstag, dem 13. August, war ich noch den ganzen Tag mit meiner Familie unterwegs, am nächsten Morgen bin ich dann nach Tschechien hinübergefahren. Mein erstes Ziel war die Kleinstadt Hořice na Šumavě (deutsch Höritz), und zwar aus einem ganz speziellen Grund. Ich habe im letzten Sommersemester eine Vorlesung über Slaven und Slavistik in Tübingen gehalten und war in diesem Zusammenhang auch darauf gestoßen, dass der erste Student aus einem slawischen Land, der in Tübingen studiert hat, Erasmus Horicius war, der in deutschen Quellen Erasmus von Höritz heißt.

In den Matrikeln der Universität Tübingen, deren Edition in digitalisierter Form im Internet zugänglich ist, können wir lesen, dass sich am 14. April 1499

M. Erasmus Hericius ex Bohemia Mag. Coloniensis

immatrikuliert hat. Erasmus Hericius/Horicius war zu dieser Zeit schon etwas älter, weil er bereits in Köln den Grad eines Magister erreicht hatte, und er ist vorher und nachher an anderen Universitäten nachweisbar. 1486/87 war er in Erfurt, 1494 in Krakau und ab 1501 in Wien, dort wird 1514 das letzte Mal genannt. In Wien hat er, wie es heißt, Mathematik gelehrt, aber eigentlich war er Musiktheoretiker. Wie ich erst mit einer gewissen Verzögerung gemerkt habe, ist er offenbar in einschlägigen musikwissenschaftlichen Kreisen bekannt als einer der ersten, die mathematische Methoden auf die Beschreibung von Tönen angewandt haben. Davon zeugt auch sein einziges erhaltenes Werk Musica speculativa aus dem Jahr 1498, dessen Handschrift in der Universitätsbibliothek München liegt (und ebenfalls digitalisiert zugänglich ist).

Natürlich wissen wir nicht, ob Erasmus Horicius wirklich Tscheche im heutigen Sinne war. Er wird als Bohemus bezeichnet, kann aber genauso gut Deutschböhme gewesen sein. Und eigentlich ist auch nicht einmal sicher, ob er aus Hořice na Šumavě bzw. Höritz stammte – die deutsche Herkunftsbezeichnung ist ja letztlich eine Übersetzung aus dem Lateinischen. Falls man annimmt, dass er wirklich aus der Stadt stammte, wäre noch die Frage, welche Bevölkerung sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte. Später war die Stadt definitiv deutsch besiedelt, und die deutschen Bewohner wurden 1945 vertrieben. Aber im 15. Jahrhundert kann das noch anders gewesen sein. Um dies festzustellen, müsste man Archivstudien durchführen, die ich natürlich noch nicht einmal geplant habe.

Aber zumindest wollte ich mir Hořice na Šumavě mal ansehen, und das habe ich auch getan. Der Ort ist ziemlich klein (851 Einwohner), und sehr viel los ist dort nicht… Als ich am Freitagmorgen eintraf, war die Stadt völlig leer, nur vereinzelt sich Leute, die einkauften oder Waren anlieferten. Die Kirche war natürlich geschlossen, das Museum auch – dort stand, dass man sich telefonisch anmelden solle. Aber immerhin gibt es ein Museum, das einer Spezialität gewidmet ist, nämlich den Höritzer Passionsspielen. Diese wurden ab 1818 regelmäßig aufgeführt und von vielen Gästen besucht. 1939 verbot die deutsche Besatzungsmacht die Spiele, 1945 ließ der neue tschechische Pfarrer sie noch einmal aufleben. Aber 1948 wurden sie dann endgültig verboten und 1993, nach der Wende, wiederaufgenommen.

Dass man 1945 fast nahtlos von deutschen zu tschechischen Spielen übergehen konnte, ist ein interessantes Phänomen, mit dem man sich auch mal beschäftigen könnte (aber dazu komme ich sicher nie mehr…). In einem Schaukasten gab es jedenfalls ein Foto von einer der letzten Aufführungen.

Ansonsten kann man in Hořice na Šumavě das alte Straßendorf noch gut erkennen, manche Häuser sind in sehr gutem Zustand, andere weniger. Meine besondere Aufmerksamkeit erweckte die örtliche Gaststätte, die nämlich U Pranýře (wörtlich Zum Pranger) heißt, ein schöner Name, der allerdings vielleicht dadurch zu erklären ist, dass es sich bei dem undefinierbaren Gegenstand vor der Gaststätte um einen alten Pranger handelt…

Ursprünglich hatte ich erwogen, in Hořice na Šumavě abzusteigen und ein paar Tage zu bleiben, aber diesen Gedanken habe ich bereits kurz nach der Ankunft verworfen. Und ich bin dann gemütlich durch Südböhmen und Mähren nach Uherské Hradiště gefahren, wo ich auch schon in den beiden letzten Sommern war (2018 nicht ganz freiwillig). Es war eine schöne Fahrt trotz viel Verkehr, speziell vor Český Krumlov / Krumau stauten sich die Autos, vermutlich von einheimischen Touristen. Auf der Reise habe ich auch schon mitbekommen, dass man es in Tschechien mit Masken und Abstandsregeln nicht sehr ernst nimmt, eigentlich ist alles so wie früher. Selbst mir, der ich nicht zu den Hypervorsichtigen gehöre, war das aber suspekt. In vier Tagen Tschechien habe ich nur einmal Leute mit Masken gesehen, ein Touristenpaar am Rande von Český Krumlov…

Gegen 18 Uhr war ich in Uherské Hradiště, wo ich wie im Vorjahr im Hotel Grand abgestiegen bin, mit der Absicht, bis Montag zu bleiben und dann nach Ungarn weiterzufahren.

1 Kommentar

  • Vielen Dank! Absurderweise kam der Ort in den Medien zuletzt wegen eines Mannes immer wieder vor, der ebenfalls ein Primat zu erreichen gewillt ist, nämlich des aus Höritz gebürtigen Jiří Janák. Gemeinsam mit Prags Ex-Bürgermeister Pavel Bém und Expeditionsleiter Pavel Kořínek will er nämlich den noch höchsten bisher unbestiegenen Berg der Welt erklimmen: Muchu Chhish (Muču Kiš, 7 453 m) im Karakorum. Mehr dazu: https://www.facebook.com/muchuchhish2020/

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