16.–18. August: Ausklang in Pardubice und Umgebung

Dies ist nun der letzte Beitrag zur diesjährigen Reise. Wie schon im vorigen Beitrag angekündigt, war ich zwei Tage in Pardubice, wo ich mich auf den Übergang in die grausame Welt der Arbeit vorbereitet habe. D.h. ich habe ein bisschen gelesen (vor allem Werke, die ich begutachten muss) und relativ viele Mails geschrieben. Und ich habe am ersten Tag den Historiker René Novotný getroffen, der die Geschichte der deutschen Siedlungen östlich von Pardubice erforscht und mit dem ich zusammenarbeite, weil ich mich für die Sprache der Siedler interessiere – über die allerdings nur wenig herauszubringen ist. Immerhin findet er in den Archiven immer wieder neue Texte, und dieses Mal haben wir über einen weiteren Fund geredet, der unsere Erkenntnisse über die Sprachsituation wesentlich voranbringen wird. Ein sehr gutes Beispiel, wie sich die Arbeit mit Vertreter_innen anderer Disziplinen lohnt! Ich werde wohl nie mehr lernen, in einem Archiv so zu suchen, wie ein Historiker es einfach kann.
Am zweiten Tag habe ich dann doch noch zwei kleine Ausflüge gemacht, den einen zu den Friedhöfen von Pardubice, den zweiten nach Veská und Sezemice, die Gegend, wo der letzte Sprecher der Pardubitzer Sprachinsel gelebt hat und wo er begraben ist. Auf dem Zentralfriedhof von Pardubice war ich schon einige Male, aber diesmal wollte ich mir den jüdischen Friedhof ansehen – nachdem mir spontan der Gedanke gekommen war, nachzuschauen, ob es einen solchen gibt. Es gibt ihn tatsächlich, und es sind dort auch einige interessante Leute begraben, u.a. der Esperantist und Lyriker Stanislav Schulhof (1864–1919), der zu den ersten Schriftstellern zählt, die auf Esperanto geschrieben haben, ferner der Opernsänger und Regisseur Hanuš Thein (1904–1974) und viele andere. Und wie sich herausstellte, liegt der jüdische Friedhof neben dem „christlichen“ Zentralfriedhof.
Krematorium von Pardubice

Zum Friedhof ging ich vom Hotel zu Fuß und landete zunächst am Haupteingang, hinter dem das berühmte Krematorium von Pardubice steht. Dieses zählt zu meinen Lieblingsbauwerken, es wurde 1921–23 im Art-Déco-Stil erbaut, an anderen Stellen ist auch vom Rondokubismus die Rede (allein der Name ist ein Gedicht!). Wie ich gelesen habe, galt es in seiner Bauzeit als ein Meilenstein, wurde später viel kritisiert und ist erst in den letzten Jahren rehabilitiert (und restauriert) worden. Man kann auch auf die Balkone hinausgehen, hinein kommt man vermutlich nur bei Trauerfeiern. Der Beginn einer Trauerfeier beendete dann auch meine Besichtigung, ich bin schnell verschwunden, als sich vor dem Gebäude einer Trauergemeinde versammelte, die mich etwas misstrauisch beäugte.

Statue vor dem Krematorium
Urnengräber auf dem Balkon

 

Im gleichen Teil des Friedhofs wie das Krematorium liegt auch ein Soldatenfriedhof, der ursprünglich für sowjetische Soldaten gedacht war, dann aber erweitert wurde. U.a. liegen hier 508 türkische bzw. osmanische Soldaten begraben, die im Ersten Weltkrieg in Galizien gefallen sind. Daraus hat man ein etwas merkwürdig anmutendes Denkmal der türkisch-tschechischen Freundschaft gestaltet.
Auf dem eigentlichen Friedhof habe ich viele Gräber fotografiert, die mir interessant erschienen, füge aber nur wenige Bilder an. Es liegen hier doch nur wenige Personen, die man außerhalb von Pardubice kennen könnte, so der Luftfahrtpionier Jan Kašpar (1883–1927) und der Lokalhistoriker František Karel Rosůlek (1859-1940), der sich zu den Deutschen in der Nähe von Pardubice geäußert hat. Auf dem Plan stand auch der Unternehmer und Astronom (sowie Erbauer des Planetariums von Pardubice) Artur Kraus (1854–1930), aber an der Stelle stand ein Mausoleum ohne Namen… Aufgefallen ist mir auch ein Grab von 1904, in dem ein Bahnhofsvorsteher und seine Schwiegermutter begraben sind, beide verstorben am gleichen Tag (5. März 1904). Das könnte fast Stoff für eine Krimi bieten.
Und jetzt zum jüdischen Friedhof. Ich hatte zeitweise aus den Augen verloren, dass ich eigentlich wegen ihm gekommen war, aber als ich dann vor dem Tor stand, stellte sich heraus, dass er nicht zugänglich ist. Bzw. man muss, wenn man ihn besichtigen möchte, mit der Jüdischen Gemeinde in Prag (!) einen Termin ausmachen. Sehr merkwürdig, aber vielleicht dadurch zu erklären, dass dieser Friedhof noch in Betrieb ist.
Gegen Abend bin ich schließlich noch nach Sezemice gefahren, um das Grab des letzten Deutschen der Gegend zu besuchen. Er hießt Josef Spitzer und lebte von 1858–1946. Auf dem Grab steht nur die Familie, aber es ist das richtige Grab, ich hatte mich darüber am Vortrag noch mit Herrn Novotný unterhalten. Danach folgte noch ein Kurzbesuch in Veská, wo heute der Hund begraben liegt – dies sei mit dem Aushang am ehemaligen Wirtshaus illustriert, der mitteilt, dass sie mangels Gästen geschlossen haben, aber gerne für Familienfeiern u.Ä. zur Verfügung stehen.
Mit diesen melancholischen Erlebnissen will ich den diesjährigen Reisebericht beschließen. Ich hoffe, dass der Bericht auf ein gewisses Interesse gestoßen ist, und verabschiede mich (natürlich nur hier) bis nächstes Jahr.

 

Sowjetische Kriegsgräber

 

Türkische Kriegsgräber

 

Familiengrab Rosůlka

 

Familiengrab Kašpar

 

Gemeinsames Grab von Schwiegersohn und Schwiegermutter

 

Eingang zum jüdischen Friedhof

 

Erster Blick über die Mauer

 

Zweiter Blick über eine (andere) Mauer

 

Familiengrab Spitzer

 

Aushang über die Schließung der Gaststätte von Veská

 

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