Im zweiten Stock des Gebäudes fand ich einen Journalisten vor, der sich mir als Mihajlo Zazuljak vorstellte. Er ist gewissermaßen der für Ruski Kerestur zuständige Redakteur, die Zentrale der Zeitung befindet sich in Novi Sad (у Новом Садзе). Herr Zazuljak war sehr freundlich und auch durchaus an mir interessiert, meinte aber, er müsse dringend einen Artikel zu Ende schreiben und verabredete sich für 12 Uhr mit mir im Café. Fünf Nummern des Ruske slovo drückte er mir gleich in die Hand, redete dann auch gleich weiter und hatte schließlich die Idee, ich könnte ja schon mal die Kirche besichtigen. Zu diesem Zweck rief er den Pfarrer an, der auch da war und meinte, ich solle doch gleich vorbeikommen.
Auf dem Weg habe ich mich verirrt und bin erst ins Gymnasium geraten, was mir ermöglichte, dort noch schnell die Bilder dreier Abiturjahrgänge zu fotografieren. Eine ältere Dame brachte mich dann zur Pfarrei, wo ich nicht nur den Pfarrer, sondern gleich drei geistliche Herren antraf. Es waren dies der Ortspfarrer Vater Mihajlo Režak, sein Vorgänger Vater Julijan Rac, derzeit Pfarrer in Verbas und Lehrer für Latein und Italienisch am Gymnasium, und Vater Roman Kandrač, der auch aus dieser Gegend stammt, aber schon seit längerem in Lemberg als Mönch tätig ist.
Wir traten schnell in ein freundliches Gespräch (bei Kaffee und Mineralwasser) über viele Fragen ein, vom Status des Lateinischen in der heutigen Gesellschaft über das Altkirchenslavische (für das sich besonders Vater Kandrač interessiert, dem ich aus Deutschland auch Literaturtipps schicken werde) bis hin zum Russinischen früher und heute. Meine Gesprächspartner sprachen auf meine Bitte nur Russinisch (wie auch schon Herr Zazuljak), sodass ich mich in diese wunder- und sonderbare Sprache einhören konnte. Besonders auffällig ist der strikte Pänultimaakzent (es war öfter von Maríja Terezíja die Rede), aber auch die Einheitsendung -och im Genitiv Plural, die zu harten Sibilanten gewordenen palatalisierten Dentale (‘Verzeihung‘ heißt beispielsweise пребаце) u.a.m. Alle drei Herren sind sehr gebildet und kennen sich in der Welt, aber auch in der Wissenschaft aus, dies wurde beispielsweise erkennbar, als mich Vater Rac dazu befragte, ob ich das Russinische eher dem Ost- oder dem Westslavischen zurechne. Letztlich gefällt ihnen allen (auch Herrn Zazuljak und dem fünften späteren Gesprächspartner) die Idee, dass es sich um ein slavisches Esperanto handle, am besten. Ich mag diese Bezeichnung nicht so, aber sie trifft doch so manches, etwa auch die ausgeglichene Nominalmorphologie.
| Von links nach rechts: Kandrač, Zazuljak, Režak, Rac |
Auch in der globalisierten Welt kennen sich diese Vertreter der intellektuellen Oberschicht der Russinen bestens aus. Und so war ich auch nur mäßig überrascht, dass Vater Rac und Vater Kandrač bald digitale Fotoapparate zückten, um mich zu fotografieren. Ein Bild machten wir dann auch noch, als Herr Zazuljak dazu gestoßen war, der etwas verwundert feststellte, dass wir noch lange nicht in die Kirche gegangen waren. Dorthin begaben wir uns also zu fünft, nachdem Vater Režak mir noch drei Nummern der Kirchenzeitung Dzvoni und ein von ihm herausgegebenes Gebetbuch geschenkt hatte.
Herr Zazuljak brachte mich dann mit dem Auto zurück zur Mala oaza, wobei er mich noch mit damit entzückte, dass er mich ausdrücklich aufforderte, mich nicht anzuschnallen (so etwas gibt es vermutlich wirklich nur noch in Serbien). In der Mala oaza führte er dann ein Interview mit mir, das im Ruske slovo erscheinen soll. Ich habe sicherheitshalber noch nachgefragt und gebeten, die Aufzeichnung nicht im Radio zu senden, denn ich redete inzwischen in einem solchen panslavischen Pidgin (und nicht Esperanto), dass ich mich selbst schämte. Aber beim Switchen zwischen Slowakisch und Ukrainisch bin ich immer wieder ins Polnische verfallen, dazu verleiten der Pänultimaakzent und die vielen Sibilanten. Bald verabschiedete er sich wieder, ich habe noch ein alkoholfreies Bier getrunken und mich mit der Wirtin unterhalten, die fließend Deutsch spricht.Sie war zweimal kürzer in Deutschland arbeiten, um die Grundlagen für ihren Betrieb zu finanzieren. Einen schönen Abschluss des Besuchs in Ruski Kerestur bildete das Gespräch mit dem Tankwart der Tankstelle, der zu mir, als ich stotternd nach einer Sprache suchte, mit dem gesamten Selbstbewusstsein einer wohletablierten Minderheit може руски? (vielleicht auf Russisch/Russinisch?) reagierte.

