25. Februar 2024: Muttersprachtag in Wilamowice

Am gestrigen Sonntag habe ich am „Dzień języka Wilamowskiego“, also dem Tag der Sprache von Wilamowice, teilgenommen, zum vierten Mal (nach 2018, 2019 und 2020). Aber da die Veranstaltung erst um 17 Uhr begann, gibt es auch noch vorher einiges zu berichten.

Nach dem Frühstück im Hotel habe ich mich spontan entschlossen, einen katholischen Gottesdienst in der Kirche von Wilamowice zu besuchen. Von dem werde ich aber nicht ausführlicher berichten, es war jedenfalls sehr voll und ich musste ganz hinten stehen. Deshalb habe ich auch nicht sehr viel verstanden. Nach dem Gottesdienst habe ich (nicht zum ersten Mal…) in Wilamowice nach einem Bankomaten gesucht und bin dann nach Kęty gefahren, das ist eine etwas größere Nachbarstadt von Wilamowice. Lange habe ich dort nicht verweilt, aber ich habe dort erstmals belehrende Tafeln zu Sehenswürdigkeiten gesehen, die ähnlich ausschauen wie die Tafeln in Wilamowice. Während aber der Text in Wilamowice auf Polnisch, Englisch und Wilmesauerisch ist, ist in Kęty die dritte Sprache Slowakisch. Das wundert mich doch ein wenig. Die Slowakei ist zwar auch nicht weit von entfernt von Kęty, aber Tschechien ist eindeutig näher.

Um 11:30 habe ich mich dann mit P.S. getroffen, einem der besten Kenner des Wilmesauerischen und Liebhaber aller kleineren westslavischen Sprachen (die er meist auch noch spricht). Mit ihm hatte ich mich das letzte Mal am 10. August 2023 getroffen, diesmal ging es um ältere Tonaufnahmen slavischer Dialekte, nach denen er sucht. Dazu hatte er mich mal angeschrieben und mich gefragt, ob es solche Aufnahmen auch in Deutschland gibt. Ich war damals optimistisch, weil ich mich an Erzählungen erinnere, dass beim Aufzeichnen der Dialekte von „Heimatvertriebenen“ in den fünfziger Jahren teilweise auch slavische Dialekte aufgezeichnet worden sein. Aber leider konnte ich weder die Quelle finden noch irgendwelche Aufnahmen. Aber wir bleiben am Ball und suchen weiter.

Um 13:30 habe ich mich von P.S. verabschiedet, der sich noch auf seine Auftritte beim Muttersprachtag vorbereiten musste, war kurz im Hotel und fuhr dann ins Restaurant Rogowa (das einzige Restaurant von Wilamowice!), wo schon Tymoteusz Król saß, zusammen mit einigen weiteren Gästen aus Nah und Fern. Im Gespräch mit ihm konnten wir ein bisschen hinter die Kulissen blicken und erfuhren beispielsweise, dass die Veranstaltung in einem ziemlich kleinen Raum stattfindet und nicht sicher ist, ob alle einen Sitzplatz bekommen… So hat sich die Gesellschaft schon nach einer Stunde aufgelöst und hat sich ins Städtische Kulturzentrum („Miejsko-Gminny Ośrodek Kultury w Wilamowicach“) begeben, wo um 17 Uhr die Veranstaltung beginnen sollte. Da ich so früh kam, bekam ich auch noch einen Sitzplatz in der zweiten Reihe und konnte einige Bekannte begrüßen. Wie nicht weiter verwunderlich, kommen zu einer solchen Veranstaltung fast immer die gleichen Leute. Ausländische Gäste waren diesmal aber nur wenige da, eigentlich nur eine Gruppe von der Universität Oslo, die aus zwei Professorinnen und vier Masterstudierenden bestand. Der einzige weitere Ausländer war ich.

Der Muttersprachtag begann mit einer Ansprache von Tymoteusz Król und Justyna Majerska, den wichtigsten Motoren der Revitalisierung. Über Tymoteusz Król habe ich schon öfter geschrieben, Justyna Majerska ist die Vorsitzende des Vereins „Wilamowianie“. Er sprach auf Wilmesauerisch, sie auf Polnisch, und so haben sie es den ganzen Abend durchgehalten. Nach der Begrüßung wurden die Norweger_innen nach vorne gebeten, um sich vorzustellen. Sie kamen vom „Department of Linguistics and Scandinavian Studies“, wo es einen Studiengang „Multilingualism“ gibt, und sie kooperieren schon seit einigen Jahren mit dem Verein „Wilamowianie“. Außer den beiden Professorinnen Åshild Næss und Haley De Korne waren es vier Masterstudierende, darunter eine Samin und ein Pole, und der Pole hat praktischerweise bei der Vorstellung gedolmetscht. Danach wurde die Versammlung vom Vizebürgermeister begrüßt, der gleich anfing, von dem geplanten Museum zu sprechen, das nämlich immer noch nicht eröffnet wurde. Jetzt sicherte er zu, dass die Eröffnung im April sein würde, was die Vertreter_innen des Museums eher ungläubig zur Kenntnis nahmen. Ein Zusammenhang zum gerade laufenden Wahlkampf für die Kommunalwahlen ist nicht gänzlich ausgeschlossen…

Der erste thematische Programmpunkt war das Gedenken an Anna Foks, die im Dezember im Alter von 96 Jahren gestorben ist. Sie war eine große Aktivistin für das Wilmesauerische, hat vielen Linguist_innen als Informantin gedient und war 2018 dabei, als eine Delegation aus Wilamowice im Sejm das Anliegen vortrug, das Wilmesauerische möge den Status einer Regionalsprache erhalten. Das hat die damalige Mehrheit im Sejm verweigert, aber vielleicht gibt es ja bald eine neue Chance. Das Gedenken an Anna Foks endete mit einem kleinen Film, in dem sie ein altes Lied singt. Und gleich anschließend folgte der Auftritt des Ensembles „Wilamowianie“, der immer einen zentralen Bestandteil des Muttersprachtags bildet. Die Gruppe ist gemischt, mit vielen älteren Teilnehmer_innen, aber auch jungen, und sie singt teils auf Wilmesauerisch und teils auf Polnisch.

Nach der Musik sollte eine Pause sein, aber der Vizebürgermeister drängte sich noch einmal nach vorne und wollte den Norweger_innen Geschenke überreichen. Das war wohl nicht eingeplant, wurde aber nicht verhindert. So kam noch einmal eine kleine Ansprache, in der der Vizebürgermeister auch bedauerte, dass er selbst nicht so gut Englisch könne und daher übersetzt werden muss, bei der Überreichung soll er aber, wie ich nachher gehört habe, einzelne englische Worte gemurmelt haben.

Dann folgte eine Pause, in der es Kaffee und Kuchen gab, aber auch die neueste Publikation, ein Buch mit kurzen Texten von Wilmesauer_innen in ihrer eigenen Sprache, mit polnischer Übersetzung und jeweils einem QR-Code, wo man eine Video anschauen oder eine Tondatei anhören kann. Auch die Einleitung ist in beiden Sprachen abgefasst, gewissermaßen als Beleg dafür, dass man auf Wilmesauerisch auch wissenschaftliche Texte schreiben kann.

Und nach der Pause kam das „Spektakel“, eine Adaptation des Weihnachtsmärchen von Charles Dickens auf Wilmesauerisch („Wajnahta gyśihta“), geschrieben und umgesetzt von einer Gruppe jüngerer Aktivist_innen. Das Spektakel war – ebenso wie Stücke, die in früheren Jahren aufgeführt wurden – auf Wilmesauerisch verfasst, der negative Hauptheld Ebenezer Scrooge sprach allerdings Polnisch. Das war ganz praktisch, weil ich so dem Stück leichter folgen konnte, zu den wilmesauerischen Passagen gab es zwar polnische Untertitel, aber die waren manchmal durch die Kulisse verdeckt… Insgesamt war die Inszenierung gut gelungen, allerdings haben mir frühere Spektakel besser gefallen, weil sie sich speziell mit Themen aus Wilamowice beschäftigten. – Tymoteusz Król war dieses Mal übrigens nicht an der Aufführung beteiligt, auf diese Feststellung legte er großen Wert. Denn es ist sehr wichtig, dass sich die jüngeren Aktivist_en emanzipieren und selbständig tätig werden.

Nach dem Ende des Muttersprachtags war ich noch mit einer größeren Gruppe, darunter den Organisator_innen und den Norweger_innen im Restaurant, in dem Hotel in Bielany, wo ich sonst abgestiegen bin. Wir haben uns gut unterhalten und ich habe viel Hintergrundinformationen erfahren, die sich freilich nicht für diesen Blog eignen. Das Einzige, was ich berichten will, ist, dass ich neben dem Verfasser des Spektakels und schräg gegenüber von P.S. saß. Und beide unterhielten sich den ganzen Abend auf Wilmesauerisch – eine tolle Herausforderung, die ich allerdings nicht völlig gemeistert habe…