Tilman Bergers Blog

30. August 2022: Rybnik, Ratibor / Racibórz, Bauerwitz / Baborów und Umgebung, St.-Anna-Berg

Am Dienstagmorgen bin ich gleich nach dem Frühstück aufgebrochen und fuhr zunächst nach Rybnik. Diesen Ort hatte ich mir deshalb ausgesucht, weil er besonders typisch (ober-)schlesisch ist, er gehörte auch schon seit 1921 zu Polen. In der Stadt selbst hatten bei der Volksabstimmung zwar 70% für Deutschland gestimmt, im Landkreis aber nur 34%. Heute ist Rybnik eine Großstadt mit 137.000 Einwohnern und ist eines der Zentren der Kohleförderung (die aber allmählich ausläuft).

Der Weg von Gleiwitz nach Rybnik ist nicht weit, so war ich gegen 9:30 in der Stadt. Ich habe an der zu Anfang des 20. Jahrhunderts gebauten St.-Antonius-Basilika geparkt, die oberhalb des Stadtzentrums liegt, und lief von dort ins Stadtzentrum, vorbei an der riesigen Statue von Johannes Paul II., die in keiner polnischen Stadt fehlen darf. Und dort fand ich tatsächlich Spuren des Schlesischen, nicht nur in der Pizzeria „Silesiana“, sondern auch auf einer Erläuterungstafel zu einem alten Haus, die viersprachig abgefasst ist: Auf Polnisch, Englisch und Deutsch folgt ein schlesischer Text, geschrieben in der neuen Orthografie von 2009, die sich allmählich durchzusetzen beginnt. Fotografiert habe ich aber auch den ukrainischen Laden, der auf Russisch und Polnisch beschriftet ist (mit Fehlern im Polnischen…).

Der Ertrag meiner Suche nach „Linguistic Landscaping“ war also eher bescheiden. So beschloss ich als nächstes einen Buchladen aufzusuchen. Den ersten Laden habe ich aber gleich wieder verlassen, nachdem ich festgestellt hatte, dass es dort nur religiöse Literatur gab, etwas später entdeckte ich aber auch noch einen weiteren Buchladen, der mir repräsentativer erschien. Im Wesentlichen wurden dort zwar Schulbücher verkauft, aber es gab auch noch ein paar Regale für Erwachsene. Ich fragte nach, ob es auch Bücher auf Schlesisch gebe, und wurde an ein Regal mit Literatur über Schlesien verwiesen (man beachte den kleinen Unterschied in der Formulierung). Dort standen im Wesentlichen Bücher zur Geschichte und zur Kunst, aber in der Mitte gab es einige Folgen des Buchs „Duchy wojny“ (Geister des Kriegs) von Alojzy Lysko, und auch tatsächlich auf Schlesisch. Da aber die ersten Bände fehlten und ich auch daran zweifle, ob ich das je lesen würde, habe ich mir die zwei weiteren Bücher gekauft, die es noch auf Schlesisch gab, nämlich ein das Wörterbuch „1000 schlesische Wörter“ und die schlesische Übersetzung von Pippi Långstrump. Dann habe ich noch einen Kaffee getrunken und habe Rybnik verlassen, um nach Ratibor / Racibórz weiterzufahren.

Ratibor kenne ich eigentlich ganz gut, ich war dort im Sommer 2013 ein paar Tage (leider ohne zu bloggen). Diesmal bin ich nur ein bisschen in der Innenstadt herumgelaufen, in der es viele Spuren der preußischen Vergangenheit gibt, habe eine Pizza gegessen und mich dann auf den Weg nach Bauerwitz / Baborów gemacht.

Bauerwitz, das auch einen tschechischen Namen hat, nämlich Bavorov, interessiert mich schon seit vielen Jahren, weil hier mal mährische Zuwanderer gesiedelt haben, die vor dem Zweiten Weltkrieg auch noch einen tschechischen Dialekt sprachen. Ich war hier auch schon zweimal, habe mich aber diesmal ein wenig gewundert, dass der Ort so völlig anders aussieht, als ich ihn vom ersten Besuch in Erinnerung habe. Erst beim Schreiben des Blogs, als ich verschiedene Angaben überprüfte, wurde mir klar, dass mein erster Besuch der Kleinstadt Branice galt, die etwa 20 km von Bauerwitz entfernt ist und wo ein besonders archaischer tschechischer Dialekt gesprochen wurde (in dem die Diphthonge ie und uo erhalten geblieben sind). Da habe ich also etwas durcheinandergebracht und muss unbedingt noch einmal hinfahren.

Unterwegs sah ich dann auch noch einen Wegweiser nach Katscher/Kietrz, einer weiteren Kleinstadt aus diesem früher „mährischen“ Gebiet. Dort war ich noch nie, also musste ich einen Abstecher machen und war beeindruckt von den barocken Denkmälern, darunter einer Kirche und dem Schloss der Grafen Henckel von Donnersmarck. 

In Bauerwitz war ich nur auf dem Friedhof, wo ich das Grab des großen schlesischen Dialektologen Feliks Steuer (1889–1950) besucht habe, der 1932 den Dialekt von Branice beschrieben hat (auf Tschechisch) und 1937 den Dialekt von Baborów (auf Polnisch). Er war außerdem der Schöpfer der ersten Orthografie für das Schlesische.

Von Bauerwitz bin ich zum St.-Annaberg (Góra Świętej Anny) gefahren, wo sich eine bekannte Wallfahrtskirche befindet. Gleichzeitig war hier der Schauplatz der letzten Kämpfe während des dritten schlesischen Aufstands im Mai 1921. Zur Erinnerung an ihn errichteten die Nazis eine Thingstätte und ein Mausoleum, das 1945 zerstört wurde (während die Thingstätte immer noch da ist und als Freilufttheater dient). 1955 wurde dann ein polnisches Denkmal zum Gedenken an die Aufstände errichtet.

All dies habe ich schon mal besichtigt, 1994 oder 1995, da war alles menschenleer, ich war allerdings auch im Frühjahr da. Diesmal war der Parkplatz vor dem Kloster übervoll, und im Kloster und in der Kirche waren viele Besucher_innen, zumeist aus Polen, aber auch aus Deutschland. Ich habe nur Kloster und Kirche angeschaut und nicht nach der Thingstätte gesucht, dafür gibt es aber auch eine Papststatue, die bei meinem letzten Besuch noch nicht da war.

Erst als ich vom St.-Annaberg wieder in Richtung Gleiwitz fuhr, bemerkte ich die zweisprachigen Ortstafeln am Straßenrand. Das Gebiet um den St.-Annaberg, das um 1920 eine Hochburg der Schlesier war, die an Polen angeschlossen werden wollte, gehört heute zu den Gebieten mit einer deutschen Minderheit. So ändern sich die Zeiten…

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