HałcnówDiesen Tag bin ich etwas gemütlicher angegangen, denn ich hatte mich erst für 13 Uhr mit Tymoteusz Król (im Weiteren Tymek) zu einem Gespräch und zum Mittagessen verabredet. Zu seiner Person sage ich hier nur kurz, dass er der wichtigste Aktivist bei der Wiederbelebung des Wilmesauerischen ist, gleichzeitig Organisator, Autor und auch Theoretiker (von ihm stammt die jetzt übliche Orthografie und auch eine Kurzgrammatik, die er zusammen mit Alexander Andrason verfasst hat). Wir kennen uns seit 2008 und seit 2017 haben wir uns regelmäßig getroffen.
Weil der Termin erst am Mittag war, saß ich vormittags länger auf der Terrasse der Hotels und habe E-Mails geschrieben, dann wollte ich doch einen kleinen Ausflug machen. Ich entschied mich für die Stadt Żywiec / Saybusch, die auch mal eine deutsche Sprachinsel war und die ich nur einmal, vor vielen Jahren besucht habe. Żywiec ist auch die Heimat eines der wichtigsten polnischen Biere, was man darauf zurückführt, dass das Gebiet lange zu Österreich-Ungarn gehört hat.
Die Fahrt nach Żywiec gestaltete sich allerdings sehr schwierig, ständig gab es Umleitungen und Staus, und irgendwann entschloss ich mich, statt nach Żywiec nach Hałcnów / Alzen zu fahren. Dort war ich das letzte Mal Ende Februar 2020 und habe vor allem den Friedhof bzw. die zwei Friedhöfe besucht, um nach Spuren der deutschen Minderheit zu suchen. Hałcnów gehört heute zu Bielsko-Biała, liegt aber noch am nächsten an Wilamowice, und daher ist der dortige Dialekt der Sprache von Wilamowice relativ ähnlich. In Hałcnów gab es auch Bestrebungen, das „Alznerische“ zu einer eigenen Sprache zu erklären, und in letzter Zeit wird zu ihm intensiv geforscht (insbesondere von Marek Dolatowski). Das Alznerische steht leider kurz vor dem Aussterben, wie mir Tymek sagte, gibt es noch eine Sprecherin und einen Sprecher, wobei nur letzterer zu Auskünften bereit ist.
In Hałcnów habe ich zunächst kurz die Kirche besucht, eine hübsche spätbarocke Kirche, die allerdings 1945 ganz zerstört und später wiederaufgebaut wurde. Wie ich jetzt zum ersten Mal gelesen habe, ist bei der Gelegenheit auch das Gnadenbild verbrannt, eine Pietà, die vorher zweimal auf wundersame Weise vor dem Feuer gerettet worden war. Der Pfarrer hat dann nach dem Krieg wieder eine Figur anfertigen lassen – und ich frage mich, ob ein solches Vorgehen wirklich im Einklang mit der katholischen Lehre steht.
Dann war ich auf dem Friedhof bzw. den zwei Friedhöfen, die durch eine Straße getrennt sind. Wie sie sich zueinander verhalten, ist mir immer noch nicht ganz klar. Vermutlich ist der obere der ältere, aber auch auf ihm findet man viele neue Gräber. Sehr interessant fand ich ferner, dass auf einer Informationstafel ein QR-Code steht, mit dem man sich in die Datenbank Grobonet einloggen und dort nach Gräbern suchen kann. Sehr modern!
Dann fuhr ich zurück nach Wilamowice, zur Gaststätte Rogowa auf dem Hauptplatz, wo Tymek bereits auf mich wartete. Wir haben zusammen zu Mittag gegessen, wobei die Findung eines vegetarischen Essens nicht ganz einfach war. Aber es gab gefüllte Piroggen, und Tymek gab gleich auch noch die Anweisung, sie nicht mit Speckstückchen zu bestreuen. Das Essen war aber wirklich gut. Alle anderen Gäste, die da waren, begrüßten Tymek freundlich und plauderten mit ihm, aber natürlich auf Polnisch. Selbst wenn jemand noch ein bisschen Wilmesauerisch sprechen sollte (die Herren waren schon etwas älter), würde er das nicht in dieser Situation tun.
Tymek berichtete mir, was es in Wilamowice Neues gibt, und auch von den anwesenden Gästen. So erfuhr ich, dass jemand aus Warschau, der zu den besten Kennern der Sprache ist, gerade zu Besuch ist (mit ihm habe ich mich dann am folgenden Tag getroffen), ferner ein japanischer Doktorand aus Berlin, der Feldforschung macht. Und in den letzten Tagen war auch der Betreuer dieses Doktoranden in Wilamowice, ein bekannter germanistischer Linguist – den ich nun leider verpasst hatte.
Ansonsten drehte sich das Gespräch vor allem um die konfessionellen Verhältnisse in der Region. Wilamowice war ja in der Zeit von 1550 bis 1626 evangelisch, genauer gesagt, kalvinistisch, und in manchen Dörfern der Region hielt sich der Kalvinismus noch länger. Heute gehören die wenigen Protestanten der Gegend zur evangelischen Kirche des Augsburger Bekenntnisses, aber in den Dörfern Lipnik / Kunzendorf (heute zu Bielsko-Biała gehörig) und Kozy / Seiffersdorf gibt es noch ein paar ältere Leute, die sich zur reformierten Kirche zählen und für die einmal im Monat ein Gottesdienst abgehalten wird, zu dem ein Pfarrer von woanders anreist. Vor allem aber gibt es in beiden Orten reformierte Friedhöfe, die wir dann auch besucht haben.
In Lipnik war ich im Februar 2020 auch, aber nur auf dem katholischen Friedhof, der evangelische ist nicht leicht zu findet. Er ist nämlich nur von einer Umgehungsstraße um Bielsko-Biała zu erreichen, und diese Umgehungsstraße ist zu allem Überfluss auch noch im Bau. Der Friedhof, mit vielen Gräbern mit deutschen Grabinschriften, ist aber sehr eindrucksvoll.
Der Friedhof in Kozy ist auch interessant, befindet sich aber in einem eher problematischen Ambiente, nämlich mitten in einem Bauhof. Auf eine solche Idee muss man erstmal kommen, aber ich habe Ähnliches auch schon mal in Tschechien erlebt.
Dann waren wir in einer Gaststätte am Straßenrand Kaffee trinken, und hatten ein nettes Erlebnis. Weil wir zusammen Deutsch sprechen, brachte uns die Kellnerin eine englische Speisekarte, und als ich dann auf Polnisch sagte, wir könnten auch Polnisch, ist sie ein wenig erschrocken. Da wir ohnehin nur einen Kaffee und etwas Süßes wollte, musste sie aber keine neue Karte bringen. Und Tymek sagte die ganze Zeit kein polnisches Wort. Wie viel schöner wäre es gewesen, wenn wir Wilmesauerisch gesprochen hätten… Aber das kann ich ja leider (bisher) nicht.
Dann fuhren wir nach Wilamowice zurück, und Tymek zeigte mir noch vom Auto aus das Gebäude des neuen Museums der Kultur von Wilamowice, das nun endlich in Bau ist (gefördert von einer internationalen Organisation). Das Museum soll noch in diesem Jahr eröffnet werden.
Den Abend verbrachte ich wieder im Hotel in Bielany.
Hałcnów
Lipnik
Kozy und Museum
Vielen Dank für diesen schönen Bericht und die eindrücklichen Bilder. Ich denke gern an die Zeit zurück, als Tymek bei uns sein Stipendium erfüllte. Er hatte ja eigentlich durch die Corona-Zeit wirklich Pech, hat aber das Beste daraus gemacht. Bin schon gespannt auf die weiteren Berichte. Schönes Wochenende!