11. August 2021: Głogów / Glogau

Den gestrigen Tag habe ich ganz in Głogów verbracht und mir alles angeschaut, was es zu sehen gibt. Ich will aber nicht verhehlen, dass ich auch einige Zeit mit Lektüre und dem Schreiben von E-Mails verbracht habe.

Bevor ich zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten komme, will ich etwas zur Geschichte der Stadt sagen. Ich hatte ja schon erwähnt, dass sie 1945 fast komplett zerstört war und dass die meisten Gebäude neu sind, wenn auch oft nach alten Mustern. Kriegerische Auseinandersetzungen um Glogau gab es aber in der Vergangenheit schon oft, insbesondere weil die Stadt seit 1630 eine Festungsstadt war. Sie hat im Dreißigjährigen Krieg mehrfach den Besitzer gewechselt und war auch in den Schlesischen Kriegen umkämpft. Außerdem war Glogau eine Stadt der konfessionellen Auseinandersetzungen. Nach der Reformation ursprünglich evangelisch, war die Gegenreformation ziemlich intensiv, weil die Stadt (anders als Liegnitz u.a.) nicht zu einem evangelischen Fürstentum gehörte, sondern direkt zum Königreich Böhmen, und dies seit etwa 1500. Deshalb wurde auch 1648 in Glogau die erste Friedenskirche für die Protestanten gebaut (außerhalb der Stadt und nur aus Holz). Diese Kirche ist aber 1758 abgebrannt, danach wurde eine evangelische Kirche in der Stadt errichtet, deren Fundamente man heute noch besichtigen kann. Das ist eine der „Ruinen“, die ich schon erwähnt hatte, und mitnichten die einzige.

Gestern Vormittag bin ich als erstes in die Innenstadt gegangen, vorbei an neu errichteten Bürgerhäusern zum Marktplatz, wo das wiederhergestellte Rathaus steht. Dass sich weiter hinten auch das Theater verbirgt, habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkt, zu dem komme ich also später. In der Nähe des Marktplatzes steht auch die ehemalige St.-Nikolaus-Kirche, die Stadtkirche, die aus dem 14. Jahrhundert stammt, im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und jetzt als Ruine eine Mahnmal bildet. Anders als bei den übrigen Ruinen ist aber noch ziemlich viel da, u.a. der Turm. Und vor dem Gebäude wird wieder mal gebaut.

 

 

 

Auf dem Weg zur Stadtkirche bin ich an der Corpus-Christi-Kirche vorbeigekommen, die mal den Jesuiten gehörte, in ihrer letzten Form eine Barockkirche aus den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts darstellte und die wiederaufgebaut wurde. Von außen sieht man das gar nicht so sehr, aber im Inneren wird es dann doch deutlich, dass hier kein Originalbarock vorliegt…

 

 

 

Nicht weit von den beiden Kirchen stand auch die 1891/92 erbaute Synagoge, die beim Pogrom von 1938 stark beschädigt wurde und später abgerissen wurde. Von ihr sieht man nur noch die Fundamente, in der Mitte steht ein kleiner Obelisk mit einer Inschrift auf Hebräisch und Polnisch. Der letzte Rabbiner dieser Synagoge war übrigens Leopold Lucas (1872–1943), der hier von 1899 bis zur Deportation 1942 gewirkt hat und nach dem der Dr.-Leopold-Lucas-Preis benannt ist, den die Universität Tübingen seit 1972 verleiht. Er geht auf eine Stiftung des Sohnes zurück, der sich rechtzeitig ins Exil retten konnte und daher überlebt hat.

 

 

 

Weiter ging es dann hinunter zur Oder, wo heute große Parkanlagen sind, vermutlich an der Stelle von Befestigungsanlagen (diese sind an manchen Stellen, aber nicht an der Oder, noch teilweise erhalten). Über die Oder führt dann eine lilafarbene Brücke zur Dominsel, wo der gotische Dom steht, der erst in den letzten Jahren renoviert wurde und offenbar auch noch nicht fertig ist – er war geschlossen. Beeindruckend fand ich, dass auch hier wieder der Dom auf einer Insel gebaut wurde, genauso wie in Breslau, Bromberg, Posen, und deshalb etwas außerhalb der Stadt liegt. Ich müsste mal schauen, ob es das im heutigen Deutschland irgendwo ähnlich gibt. Da stehen die Dome ja eher in der Stadt bzw. auf einem Hügel.

 

 

 

Weiter ging es zurück über die Oder, wo man auf der rechten Seite des ehemalige Schloss sieht. Das macht allerdings einen besonders modernen Eindruck, weil fast alles aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammt – nur ein Turm, der sog. Hungerturm, ist älter und ragt hinter dem Gebäude hervor.

In der Nähe des Schlosses befinden sich wieder Parkanlagen, die an die Stelle von Befestigungen getreten sind. Dort sah ich ein Denkmal für die „Glogauer Kinder“ – es erinnert an die Belagerung der Stadt im Jahr 1109, als das damals noch polnische Glogau vom deutschen Kaiser Heinrich IV. belagert wurde. Der Legende nach gaben die Bürger dem Kaiser ihre Kinder als Geiseln, um Verhandlungen mit dem polnischen König zu ermöglichen. Als der aber der Kapitulation nicht zustimmte, benutzen die deutschen Truppen die Kinder als lebende Schutzschilder, was aber die Verteidiger nicht schreckte. Letztlich wurde die Stadt nicht erobert, aber die Kinder kamen ums Leben, jedenfalls nach Angaben der kurze Zeit später entstandenen lateinischen Chronik des Gallus Anonymus. Ich muss den Text mal nachlesen…

Die Parkanlagen bergen aber noch weitere Überraschungen. So hat man dort bei Ausgrabungen die Fundamente der romanischen Peterskirche entdeckt, die 1853 abgerissen worden war, weil das Gelände für Kasernen gebraucht wurde. Sie wurden zum Teil wiederaufgebaut und dienen heute als Denkmal für den heiligen Papst Johannes Paul II. Ein solches Denkmal gibt es bekanntlich in jeder polnischen Stadt (manchmal auch mehr als eines), aber dass es hier in einer romanischen Kirche ist, ist schon etwas Besonderes.

Danach habe ich länger nach den Ruinen der evangelischen Kirche gesucht, die den Namen „Schifflein Christi“ trug und zwischen 1764 und 1772 erbaut wurde. Tatsächlich war ich an ihr schon mehrfach vorbeigelaufen, aber ich hatte nicht gemerkt, dass hier das nächste Lapidarium ist… Auf der Suche bin ich in den nächsten Park geraten und habe von dort aus das monumentale Gerichtsgebäude gesehen, dass offenbar nicht so sehr beschädigt war. Und dann stand ich an der evangelischen Kirche, deren Fundamente so unscheinbar sind, dass man sich die Kirche nur vorstellen kann, wenn man das Modell, das neben den Fundamenten steht, anschaut.

 

 

 

Abschließend bin ich dann noch einmal zum Marktplatz gegangen, habe einen Eiskaffee getrunken und habe als krönenden Abschluss die Fassade des Andreas-Gryphius-Theaters besichtigt, das erst in den letzten Jahren wiederaufgebaut wurde, das aber immerhin den Namen des deutschen Dichters trägt. Es wurde am Ende des 18. Jahrhunderts errichtet und 1863, zum 200. Todestag nach Gryphius benannt. Erneuert wurde es erst ab 2017 und ist offenbar auch noch nicht ganz fertig.

Damit beende ich meinen Bericht über Głogów / Glogau, heute geht es weiter nach Nordosten,

 

 

1 Kommentar

  • Vielen Dank für den schönen, aber auch irgendwie bedrückenden Stadtrundgang, an dem man sehr schon nachvollziehen kann, wie sinnlos, doch scheinbar unvermeidlich kriegerische Auseinandersetzungen sind. Gute Weiterreise!

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