15. August 2015: In Przemyśl und bei den „Walddeutschen“

Gestern wurde in Polen Mariä Himmelfahrt gefeiert und ich war im Vorfeld etwas ängstlich, wie ich den Tag verbringen würde. Natürlich ist klar, dass man an diesem Tag keine Kirchen besichtigen kann, aber in früheren Jahren fühlte ich mich in meiner Bewegungs- und Handlungsfreiheit auch sonst ziemlich eingeschränkt. In diesem Jahr war aber alles viel harmloser, möglicherweise feiern auch immer weniger Polinnen und Polen den Feiertag.

Am Morgen bin ich von Łańcut nach Przemyśl gefahren, sehr zügig auf einer Art Autobahn, die mir gestern entgangen war (allerdings bin ich da ja auch den Umweg über Leżajsk gefahren). Przemyśl ist eine relativ große Stadt, über dem Fluss San gelegen, und steht ganz im Zeichen Kasimirs des Großen (1310–1370), der die Stadt sehr gefördert hat. Auch sie gehörte ursprünglich zum Kiewer Reich, war dann Hauptstadt eines Teilfürstentums und kam 1340 an Polen.

Ich fand schnell einen Parkplatz am Museum und begab mich zunächst zur Kathedrale, die ich wider Erwarten betreten konnte, in einer kurzen Pause zwischen zwei Gottesdiensten. Leider hat die Zeit

Die Kathedrale von Przemyśl

nicht gereicht, um festzustellen, dass die

Inneres der Kathedrale

Hauptsehenswürdigkeit die sog. Fredro-Kapelle ist (benannt nach einem Bischof, nicht nach dem Schriftsteller, der aber sicher aus der gleichen Familie stammte), und sie anzuschauen.

Blick von der Burg ins Tal

Dann ging ich weiter auf die Burg, von der außer zwei Türmen nicht mehr viel übrig ist, die aber

Rotunde

einen großartigen Blick auf die Umgebung gewährt. In einem Turm gibt es eine

Hier könnte man sich als Kasimir der Große fotografieren lasen

Ausstellung über Kasimir den Großen, im Hof könnte man sich sogar als Kasimir fotografieren lassen – aber das ging bei mir nicht, weil ich allein unterwegs war. Besonders bemerkenswert war schließlich auch die Rotunde, von der allerdings nur noch die Fundamente übrig sind, sie ist also sozusagen in einem noch schlechteren Zustand als die Rotunde von Altpilsen.

Dann habe ich noch weitere Kirchen von außen besichtigt, u.a. die griechisch-orthodoxe Kathedrale Johannes des Täufers – die geschlossen war, weil die Griechisch-Orthodoxen den Feiertag erst eine Woche später begehen. Schließlich wollte ich auch noch die ehemalige Synagoge anschauen, die ich erstaunlich schnell gefunden habe. Fast interessanter war allerdings eine Wandergruppe, die mir unterwegs begegnete, vermutlich in Richtung Tschenstochau.

Ehemalige Synagoge
Christliche Wandergruppe

Voran ging ein Mann mit Megaphon, der die Autos abschrecken sollte, und am Schluss folgte ein junger Mann mit einer roten Fahne – wie bei einem abgeschleppten Auto. So etwas habe ich wirklich noch nie gesehen.

Von Przemyśl fuhr ich zurück in Richtung Łańcut, wollte aber unbedingt noch einen zweiten Versuch bei den „Walddeutschen“ in Markowa wagen, und sei es auch nur durch Besichtigung des Freilichtmuseums. Das war eine wunderschöne Fahrt durch kleine Dörfer und eine schöne Landschaft, leider gänzlich ohne Gaststätten oder Cafés, wo ich eigentlich gerne etwas getrunken hätte. Gegen 13:30 war ich dann in Markowa und stellte als erstes fest, dass in der Nähe des Freilichtmuseums gerade ein Festplatz hergerichtet wurde, zur Feier des Erntefestes („Dożynki“). Als ich kam, war aber noch gar nichts los, es stand nur die Bühne und es wurden Tische aufgestellt. Ich ging schnurstracks ins Freilichtmuseum – und erschrak zunächst vor der Ankündigung, die Besichtigung dauere 2-3 Stunden. Aber glücklicherweise gab es ja keine Führung, sondern nur individuelle Besichtigung. Die Kasse war ins Freie verlegt und an einem Tisch wurde mir eine Eintrittskarte für 4 Złoty verkauft, das war ein Sonderpreis, den aber an diesem Tag alle bekamen. Und ich wurde aufgefordert, mir nachher ein Andenken zu kaufen.

Das Museum ist relativ klein, aber die Bauernhäuser sind gut ausgewählt, in Schuss und die

Freilichtmuseum Markowa

Beschriftung ist ebenfalls ausreichend. Im ersten Haus gab es auch einen Überblick über die Geschichte des Dorfs, wo die deutsche Besiedlung erwähnt wurde, als sei das etwas ganz Normales. Dort habe ich freilich auch gelesen, dass der Grundherr zeitweise ein Kalvinist war (das ist natürlich noch etwas Schlimmeres als deutsche Vorfahren), und ein späterer Grundherr sogar ein Orthodoxer und auch noch Grieche – er hieß Konstanty Korniakt und lebte von 1520–1603. Die Gemeinde soll aber immer brav katholisch geblieben sein.

Als ich das Museum verließ (nach einer Dreiviertelstunde), ging ich wieder an den Tisch am Eingang und sah gleich, dass es ein Buch über Markowa gibt. Das habe ich mir natürlich gekauft und auch ein Buch über die Familie Ulma, auf das ich extra aufmerksam gemacht wurde. Und schließlich auch eine Tasse mit der Familie, ich weiß allerdings nicht, wie ich die dann verwenden werde. Ja, und dann wollte ich dem Herrn an der Kasse erklären, dass ich aus Deutschland bin, mich für das Dorf interessiere etc. – und stieß auf taube Ohren. D.h. er redete gleich mit jemandem anderen und wandte mir den Rücken zu. Da habe ich dann verstanden, warum die Walddeutschen auf Polnisch „głuchoniemcy“, d.h. „Taubdeutsche“ heißen. Und überhaupt erinnerte mich der Umgang mit Fremden etwas an deutsche Sitten. Wobei ich freilich nicht untersucht habe, ob sich Polen nicht womöglich genauso verhalten.

Ich verabschiedete mich jedenfalls und ging zum Festplatz zurück, wo inzwischen ein Orchester

Erntefest ohne Teilnehmer

spielte. Freilich fast ohne Zuhörer/innen, denn außer den Leuten an den Essständen war nur ein Mann da, der ein Bier trank, und ein weiterer hinter einem Informationsstand einer Beratungsstelle für Bauern. Ich kaufte mir ein Mineralwasser und bekam gleich eine ganze 1,5-Liter-Flasche, setzte mich auf eine Bank und betrachtete das Orchester und die Landschaft. Irgendwann bin ich dann an den Stand für die Bauern gegangen…

Nach gewissen Anlaufsschwierigkeiten erwies sich der dort sitzende Herr als durchaus gesprächig. Wir haben uns zunächst über die Früchte unterhalten, die am Stand ausgestellt waren, ein Teil stammte aus der Region, andere waren eher als Anreiz gedacht, dass sich die Bauern mit ergiebigeren Sorten bekannt machen. Dann erfuhr ich, dass das Orchester derzeit nur probe (sie träfen sich so selten, dass das dringend nötig sei), dass um 15 Uhr Festgottesdienst ist und das eigentliche Fest erst um 16:30 beginnt. Und da mein Gesprächspartner offenkundig aus Markowa stammte, traute ich mich dann, ihn nach der deutschen Vergangenheit zu fragen. Die war ihm wohlbekannt und er nannte auch gleich Nachnamen wie Szylar und Kielar. Ich las dann weitere vor, die auf der Beschriftung von Früchten an seinem Stand aufgeführt waren, und als ich zu Szpytma kam, lachte er und sagte, so heiße er – dieser Name sei allerdings schwedisch. Die Meinung, dass ein Teil der Siedler Schweden gewesen seien, wird schon seit dem 19. Jahrhundert vertreten. Auch wenn diese Theorie in der Wissenschaft schon lange nicht mehr vertreten wird, ist sie unter der Bevölkerung immer noch populär. Wer hat denn schon gerne deutsche Vorfahren?

Stand der Beratungsstelle für Bauern mit Herrn Szpytma

Schwedische Vorfahren sind viel harmloser, auch wenn sich die Schweden im 17. Jahrhundert in Polen nicht gerade gut benommen habe. Wir unterhielten uns dann weiter über das Dorf und die Landwirtschaft, die hier erstaunlich gut laufe, weil viele junge Leute die Höfe weiterführen. Er sprach auch über die Kredite von der EU, aber auch darüber, dass dieses Gebiet „Polska B“ sei, also eine Art schlechteres Polen. Am Schluss redeten wir dann über Deutschland, wo er einmal kurz war, und zwar bei einer Rundreise von Obstbauern, und er fragte mich nach meinem Jahrgang. Da stellte sich heraus, dass er nur ein Jahr älter ist, damit aber auch schon sechzig. Und er beglückte mich mit dem Sprichwort po kopie po chłopie, was etwa heißt, nach dem 60. ist es mit dem Mann vorbei. Sprachlich hat er sonst leider nicht viel Interessantes geboten, d.h. kaum Dialektales. Einmal sagte er kobita (aber das ist ja wohl allgemeiner Substandard) und einmal wójna statt wojna, das war es dann schon.

Nach einer halben Stunde habe ich mich verabschiedet, habe noch ein Foto gemacht und meine Anderthalbliterflasche ausgetrunken. Und dann bin ich nach Łańcut zurückgefahren.

1 Kommentar

  • Es ist eigentlich schon sehr sonderbar, warum dieses Programm nicht einmal Verlinkungen mit dem Internet in Kommentaren akzeptiert, ja dieses sogar herauslöscht. Ich schicke sie dir also wieder per E-Mail und beschränke mich hier auf Kommentare. Der Eintrag hier war ja nicht nur informativ, sondern auch sehr amüsant. Besten Dank!
    Wieder eine Anmerkung am Rande: Also was die Wallfahrer angeht, so marschiert auch meine Mutter jeden Sommer von Groß Gerungs nach Mariazell, auch heuer war das bei der größten Hitze der Fall. Über 70 Leute wanderten da fast eine Woche lang. Natürlich marschieren sie da nicht nur auf der Straße, sondern viel über Feld- und Güterwege, aber teilweise müssen sie auch Straßenstücke bewältigen. Wie soll da sonst eine Wallfahrergruppe gehen? Mich wundert eher, dass die Gruppe nicht auch eine(n) Kreuzträger(in) an der Spitze des Zuges hatte. Der ist bei uns eigentlich obligat. Im Übrigen waren auch unsere Kinder heuer bei der Schulwallfahrt in Tirol so unterwegs, nur hatten sie als Fahne eben jene des Vatikan dabei (Fotos kommen per E-Mail).

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