16. August 2015: Bełżec, Zamość, Biłgoraj

Gestern war Sonntag, und wer mich kennt, erwartet sicher, dass ich einen evangelischen Gottesdienst aufgesucht habe. Das war freilich hier nicht möglich, denn im gesamten Karpatenvorland gibt es keine evangelischen Gemeinden, zumindest keine Lutheraner oder Reformierten. Es gibt Baptisten und Pfingstgemeinden, gegen die ich auch im Prinzip gar nichts einzuwenden habe. Aber wenn ich die zum ersten Mal teste, dann vielleicht doch nicht gerade hier. Ich habe mich sogar auf der Internetseite der Evangelisch-Augsburgischen Kirche informiert, aber auch dort steht nichts. Das Gebiet gehört übrigens zur Diözese Kattowitz – was für sich genommen auch schon einiges aussagt.

So habe ich mich also um 8:30 mit dem Auto in Richtung Norden aufgemacht. Unterwegs waren die

Bełżec von der Straße aus

Straßen von Gottesdienstbesucher/innen gesäumt, interessanterweise waren das eher mehr Leute als am Feiertag. Und mein erstes Ziel war dann Bełżec, wo ich dem dortigen Vernichtungslager einen Besuch abstatten wollten. Ich hatte vor

Der Weg zur Gaskammer

diesem Besuch schon etwas Angst, denn ich war zwar schon in Konzentrationslagern und auch in Birkenau, aber noch in keinem Lager, das nur als Vernichtungslager diente (wie dies für Bełżec, Sobibór und Treblinka zutrifft). Das Lager war nicht einfach zu finden (auch wenn es Wegweiser gibt) und beeindruckte mich dann schon von der Straße aus, die direkt an der Bahnlinie liegt. Das Gelände ist wirklich ziemlich klein und mit einem Blick zu umfassen. Der größte Teil der Fläche ist mit Schlacken bedeckt, in der Mitte führt ein Gang zwischen

Gedenkstätte mit Inschrift

Stacheldraht nach oben. Er wird immer enger und endet mit einer kleinen Gedenkstätte an der Stelle, an der die Gaskammern standen. Und wenn man den Weg hinaufgeht, muss, ja soll man an die Scharen denken, die hier in den Tod getrieben wurden. In der Gedenkstätte steht dann auf Hebräisch, Polnisch und Englisch der Vers aus Hiob 16:18 „Ach Erde, bedecke mein Blut nicht! und mein Geschrei finde keine Ruhestätte!“. Zurück bin ich dann um das Gelände herumgelaufen, wo die Namen aller Ort stehen, aus denen Menschen nach Bełżec gebracht wurden. Unten ist dann ein Museum, angeblich in Form einer Rampe, jedenfalls an der Stelle, wo die Rampe war. Dort haben mich am meisten drei Vitrinen mit Schuhen, Schlüsseln und Geldstücken beeindruckt, die man bei Grabungen auf dem Gelände gefunden hat.

Von Bełżec bin ich nach Zamość weitergefahren, der schönsten ostpolnischen Stadt, die ich auf jeden Fall besichtigen wollte, auch wenn ich Ostpolen jetzt doch im Wesentlichen auf das ehemalige

Armenische Bürgerhäuser

Galizien eingeschränkt habe (Zamość gehörte dagegen ab 1815 zu Russland und nur von 1772-1809 zu Österreich und von 1809-1815 zum Herzogtum Warschau). Zamość ist eine bewusste Gründung des Magnaten Jan Zamoyski (1542–1605) aus dem Jahr 1578 und wurde gewissermaßen aus einem Guss von dem

Rathaus von Zamość

italienischen Baumeister Bernardo Morando entworfen. Ich parkte am Rand der Altstadt neben der Franziskanerkirche und ging gleich zum Markt, der wirklich ein großes Erlebnis ist. Dominiert wird er vom Rathaus, außer herum sind Arkaden (leider heute zum größeren Teil von Restaurants und ähnlichen Betrieben besetzt), und neben dem Rathaus stehen die Glanzstücke der Stadt, die armenischen Bürgerhäuser. Ihre Fassaden sind beeindruckend, manche haben auch Figurenschmuck. Ich bin von dort gleich zur Synagoge weitergegangen, die etwas später erbaut wurde (1610-20), aber ebenfalls im Stil der

Ornamente in der Synagoge

Renaissance. Und es ist eine sephardische Synagoge, weil Zamoyski zunächst keine Juden in der Stadt ansiedeln wollte und dann reiche Kaufleute in die Stadt berufen hat. Sie ist innen auch ausgemalt, aber nur mit (sehr schönen!) Ornamenten.

Danach ging ich zum Geburtshaus von Rosa Luxemburg, wo heute ein Copyshop untergebracht ist (leider ist nicht überliefert, wie sie zu diesem Phänomen der Neuzeit gestanden hätte), und ging dann ins Restaurant vor den Armenischen Bürgerhäusern. Ich hatte nämlich beim Vorbeigehen eine „Piwnica Ormiańska“ (Armenische Kneipe) angekündigt gesehen und die wollte ich mir nicht entgehen lassen. Tatsächlich enthielt die Speisekarte zwei Seiten mit armenischen Gerichten (und ca. zehn mit polnischen und internationalen), und die Bedienungen trugen kleine bunte Fese… Ich habe dann eine Vorspeise mit Rouladen aus Aubergine und Granatapfelkernen bestellt,

Rosa-Luxemburg-Copyshop

danach einen „Kjabab“ in armenischem Brot, alles war vorzüglich. Leider konnte ich kein armenisches Bier („Kilikia“) bestellen, weil es das nur mit Alkohol gibt, so griff ich wieder auf die Alternative „Lech Free“ zurück. Bei der ich immer daran denken muss, wie die Brauerei Lech nach dem Tod des

Aufmarsch auf dem Rathausplatz

Präsidenten Lech Kaczyński Schwierigkeiten mit ihrer Werbung „Zimny Lech“ (d.h. „Kalter Lech“) bekam. „Lech Free“ ist dagegen offenbar unproblematisch. – Das Einzige, was ich an dem Restaurant auszusetzen hatte, war der Weg zu den Toiletten, eine so steile Treppe, dass ich mir gar nicht

Treppe im Restaurant

vorstellen will, wie man die man Krücken hinuntergeht… Auf dem Rathausplatz war auch ansonsten noch einiges los, so Aufmärsche von militärischen Formationen in mittelalterlichen Gewändern. Leider habe ich die Kommandorufe nicht verstanden.

Akademia Zamoyska
Palast mit Stadtgründer

Nach dem Essen habe ich noch das riesige Gebäude der 1594 gegründeten „Akademia Zamojska“ angeschaut, der dritten Universität Polens (nach Krakau und Wilna, Warschau kam erst viel später!), die leider 1784 schon wieder geschlossen wurde. Dann bin ich am Palast des Hetmans vorbei zur Kathedrale und schließlich zur Nikolauskirche, die heute den 

Nikolauskirche

Franziskanern gehört, der man aber noch gut ansieht, dass sie ursprünglich griechisch-orthodox war (man sieht es vor allem an der Kuppel).

Auf dem Rückweg nach Łańcut wählte ich eine anderen Weg, weil ich unbedingt über Biłgoraj fahren wollte. Der Name dieser Stadt, den ich zum ersten Mal in einem Gedicht von Bert Brecht („Kinderkreuzzug“) kennenlernte, hat mich immer schon fasziniert, mir war aber auch klar, dass es dort nichts zu sehen gibt. Diese Stadt, die zu denen zählte, die 1939 eine jüdische Bevölkerungsmehrheit hatte, ist so oft zerstört worden, dass die Bebauung relativ neu ist. Im Grunde gibt es auch nicht einmal ein Stadtzentrum, aber wenigstens war ich jetzt mal dort. Fast

Kirche in Biłgoraj

interessanter wäre dafür Szczebrzeszyn gewesen, durch das auf dem Weg von Zamość nach Biłgoraj fuhr. Da wunderte ich mich etwas über den Ortsnamen und habe auch das Schild fotografiert, weil ich nachschauen wollte, ob das wirklch der Ort aus dem bekannten Zungenbrecher „W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie“. Er ist es wirklich und es gibt offenbar auch ein Denkmal für den Verfasser des Zungenbrechers (mir war gar nicht klar, dass Zungenbrecher Verfasser haben können…), aber das habe ich verpasst.

Am Abend habe ich mich dann in Łańcut erholt, morgen – wo es dann schon regnen soll – fahre ich in die Slowakei weiter.

1 Kommentar

  • Vielen Dank auch dafür und den schönen Ausklang. Die kurz zum Schluss angerissene Geschichte ist mir in allen Details bekannt, darüber hatte ich schon Seminararbeiten samt Bildern des Pomnik chrząszcza auf dem Hauptplatz von Szczebrzeszyn. Von einem Denkmal für Jan Brzechwa dort, ist mir weniger bekannt, obwohl er es sich verdient hätte. Aber sein Name steht zumindest unter dem Vers.
    Selbstverständlich ist hier der Autor bekannt. Am ehesten kannst Du die ganze Sache mit Ondřej Sekora vergleichen. Sein "Ferda Mravenec" ist ja auch praktisch überall in der damaligen Tschechoslowakei zum Gemeingut geworden und die Verse aus dem "Ferdův slabikář" sind ja ebenfalls bis heute gerne zitierte Zungenbrecher, denk bloß an: "Huhňa hodně huhně, že hýl hnoji uhne." oder "Svišt sice svisle visel, zasvištěl, svist slyšel sysel."
    Jan Brzechwa war aber nicht nur ein Kinderliteraturautor, sondern darüber hinaus selbst ein bekannter Poet und Übersetzer, vor allem bekannt durch seine Übertragungen von Puschkin, aber auch Jessenin und Majakowski. Aber zurück zum "Chrząszcz", hier ist das gesamte Kindergedicht:

    Jan Brzechwa – CHRZĄSZCZ

    W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie
    I Szczebrzeszyn z tego słynie.

    Wół go pyta: "Panie chrząszczu,
    Po co pan tak brzęczy w gąszczu?"

    "Jak to – po co? To jest praca,
    Każda praca się opłaca."

    "A cóż za to pan dostaje?"
    "Też pytanie! Wszystkie gaje,

    Wszystkie trzciny po wsze czasy,
    Łąki, pola oraz lasy,

    Nawet rzeczki, nawet zdroje,
    Wszystko to jest właśnie moje!"

    Wół pomyślał: "Znakomicie,
    Też rozpocznę takie życie."

    Wrócił do dom i wesoło
    Zaczął brzęczeć pod stodołą

    Po wolemu, tęgim basem.
    A tu Maciek szedł tymczasem.

    Jak nie wrzaśnie: "Cóż to znaczy?
    Czemu to się wół prożniaczy?!"

    "Jak to? Czyż ja nic nie robię?
    Przecież właśnie brzęczę sobie!"

    "Ja ci tu pobrzęczę, wole,
    Dosyć tego! Jazda w pole!"

    I dał taką mu robotę,
    Że się wół oblewał potem.

    Po robocie pobiegł w gąszcze.
    "Już ja to na chrząszczu pomszczę!"

    Lecz nie zastał chrząszcza w trzcinie,
    Bo chrząszcz właśnie brzęczał w Pszczynie.

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