Tilman Bergers Blog

17. August 2015: Rymanów, Bartfeld, Hopgarten, Kesmark

Der Bericht über den gestrigen Tag wird etwas kürzer, weil ich mich auf die Rückreise gemacht habe. Ich bin gestern von Łańcut nach Kežmarok/Kesmark in der Slowakei gefahren, und von hier geht es heute weiter nach Ostböhmen, wo ich noch ein oder zwei Tage bleiben werde.

Für den Rückweg hatte ich mir vorgenommen, noch einmal nach Rymanów zu fahren, gewissermaßen als Buße dafür, dass ich in meinem Blog vom 12. August behauptet hatte, dort gebe es nichts zu sehen. Inzwischen bin ich nämlich auf den Namen des Rabbis Menachem Mendel von Rimanow (1745–1815) gestoßen, der ebenfalls ein ganz großer Vertreter des Chassidismus war (und u.a. auch ein Anhänger von Napoleon, in dessen Kriegen er den Anfang der Endzeit sah). Er ist in Rymanów begraben und es gibt dort auch noch die Synagoge, in der er gelehrt hat.

Nun wird sich manche/r fragen, wie ich das eigentlich übersehen konnte, und dazu muss ich nun offenlegen, wie ich jeweils die jüdischen Friedhöfe und die Synagogen finde. In den gängigen Reiseführern stehen nur die wichtigsten von ihnen (in meinem z.B. die Synagoge von Łańcut), und einen spezialisierten Reiseführer habe ich nicht (wie mir jemand geschrieben hat, scheint es den aber zu geben – beim nächsten Mal muss ich mir ihn beschaffen). Und die Mitteilsamkeit der polnischen Gemeinden hält sich auch in Grenzen. Wenn es eine Karte mit Sehenswürdigkeiten gibt (was nicht selbstverständlich ist), sind die jüdischen Denkmäler aufgeführt, aber auf irgendwelchen Schildern am Ortseingang stehen sie fast nie. Und Wegweiser gibt es in Polen ohnehin viel weniger, als wir aus Deutschland u.Ä. gewohnt sind. Mein Verfahren sieht also so aus: Wenn ich mich informieren will, ob es in einem Ort eine Synagoge oder einen Friedhof gibt, schaue ich auf die polnische Wikipedia-Seite über diesen Ort. Und wenn dort etwas aufgeführt ist, gibt es fast immer auch einen Wikipedia-Artikel mit genauer Beschreibung, Adresse und manchmal auch einem Bild. Und auf diesem Wege wusste ich also auch von dem Friedhof in Rymanów und von drei Synagogen, von denen eine noch steht.

Von Łańcut bin ich einigermaßen zügig nach Süden gefahren und war gegen 11 Uhr in Rymanów.

Orthodoxe Juden am katholischen Friedhof

Hinweisschilder habe ich zwar gefunden, und sogar zu den Sehenswürdigkeiten des Orts. Aber auf jedem Schild wurde

Synagoge von Rymanów

immer nur die Sehenswürdigkeit behandelt, vor der ich gerade stand, das half mir also nicht weiter. Ich wusste aber, dass der Friedhof in der „ulica Kalwaria“ ist, also bin ich auf den Hügel über der Stadt gefahren, wo auch wirklich der katholische Friedhof war. Und – ich konnte meinen Augen nicht trauen – vor dem Friedhof stand ein junger orthodoxer Jude und telefonierte mit dem Handy. Ich fuhr ein Stück weiter, wo mir dann noch drei Frauen mit schwarzen Hüten und ein weiterer orthodoxer Jude entgegenkamen. Ich

Synagoge aus der Nähe

habe mich getraut, sie aus der Ferne zu fotografieren, aber als ich dann geparkt hatte, waren sie verschwunden (und vermutlich hätte ich mich ohnehin nicht getraut, sie anzusprechen). So fragte ich eine Friedhofsbesucherin nach dem jüdischen Friedhof. Sie war etwas verlegen und meinte, das sei sehr kompliziert, der liege ganz woanders und noch hinter der Tankstelle, dort sollte ich fragen. Ich bin trotzdem noch die Straße weitergefahren und habe nach Wegweisern gesucht, endete aber schließlich bei einem Marienheiligtum – das schien mir nicht der richtige Ort zu sein…

Also bin ich zurückgefahren ins Stadtzentrum, habe auf dem Hauptplatz geparkt und nach einem Stadtplan gesucht. Den habe ich wirklich gefunden, mit

Auf der Suche nach dem jüdischen Friedhof

Synagoge und Friedhof. Wie sich zeigte, hatte mir die ältere Dame den Weg zur Synagoge beschrieben und nicht den zum Friedhof, der nämlich laut Plan doch ganz nah beim katholischen Friedhof sein sollte. Ich bin dann erst in Richtung Friedhof gegangen, aber bevor ich überhaupt dort

Reste eines Sportplatzes

war, fing es an zu regnen. Also zurück zum Auto, wo ich mich entsprechend ausgerüstet habe, dann aber zur Synagoge gegangen bin. Die war natürlich weder da, wo sie auf dem Plan eingezeichnet war, noch da, wo sie laut Wikipedia sein sollte (dort steht „an der Ecke des Markts und der Bielecki-Straße“), sondern deutlich weiter unten, hinter einem Einkaufszentrum und so von Bäumen eingerankt, dass man sie kaum sieht. Aber sie ist da und ist von außen auch beeindruckend. Nur steht nicht einmal da, wie man in sie hineinkommt. Also gab ich mich mit

Marienheiligtum

diesem Eindruck zufrieden und begab mich wieder in Richtung Friedhof. Diesmal fuhr ich aber mit dem Auto, weil es angefangen hatte, stark zu regnen. Und diese Fahrt endete in einem Desaster. Ich bin in jede Seitenstraße eingebogen und musste am Ende jeder Seitenstraße wenden, nachdem ich keine Anzeichen für den Friedhof gefunden hatte. Und auf der Straße, die die Verlängerung der Kalwaria ist, fand ich viel Interessantes, eine Gedenkstätte für die Opfer von Smolensk, einen Sportplatz und das schon erwähnte Marienheiligtum. Wegen des Regens war auch niemand auf der Straße und irgendwann habe ich kapituliert. Ich muss also wohl auf jeden Fall noch einmal nach Rymanów fahren…

So bin ich dann in Richtung Slowakei aufgebrochen, in wirklich strömenden Regen. Um mein letztes polnisches Geld auszugeben, bin ich noch in einer Raststätte in Tylawa abgestiegen, als einziger Gast. Immerhin stand an der Theke eine Urkunde, nach der der Besitzer 2002 den Ehrentitel „Lukull w podróży“ (Lukull auf der Reise) erhalten hat. Und der Bigos, den ich bestellt habe, war wirklich sehr gut. Noch besser war freilich der Besitzer der Raststätte, der so aussah, als sei er schon beim Januaraufstand 1863 dabei gewesen. Aber den konnte ich leider nicht fotografieren.

Kurz hinter der Raststätte standen zwei Tramper, die zwar eigentlich nach Ungarn wollten, sich aber gerne von mir ein Stück mitnehmen ließen. Der eine trug eine Tarnanzug, sodass ich mich fragte, ob er vielleicht desertiert ist, aber sie haben sich ordentlich benommen und Grenzkontrollen gibt es ja nicht mehr. Nach der Grenze, die hier der Dukla-Pass bildet, erwartete ich Denkmäler für

Hauptplatz von Bartfeld/Bardejov

die hier im Oktober 1944 geschlagene Schlacht, aber die sind wohl größtenteils abgebaut. Jedenfalls habe ich nur einen Panzer und eine Kanone gesehen, die vereinsamt in der Landschaft standen. Kurz vor Svidník (ruthenisch Свідник) sind die beiden Herren wieder ausgestiegen und ich fuhr nach Bardejov/Bartfeld, wo ich einen kleinen Rundgang durch die Innenstadt machte und eine Teestube in einer Buchhandlung besuchte. Bartfeld war ja auch mal eine deutsche Sprachinsel, ist aber schon seit dem 17. Jahrhundert slowakisiert. Der Marktplatz wirkte sonderbar leer, wie schon bei früheren Besuchen.

Von Bartfeld bin ich dann durchs Gebirge und entlang der polnischen Grenze nach Westen gefahren, mit dem Ziel Stará Ľubovňa. Das ist die östlichste Stadt der Zips, eines Gebiets, das bis ins 20.
Jahrhundert teilweise deutsch besiedelt war. Und dort war ich schon öfter, das erste Mal 1993 – diese Erinnerungen wollte ich auffrischen. Da ich aber in Stará Ľubovňa nicht auf Anhieb ein Hotel gefunden habe, bin ich letztlich bis Kežmarok/Kesmark weitergefahren, wo ich jetzt auch übernachtet habe. Von unterwegs gibt es nicht mehr viel zu berichten, bis auf ein wirklich sehr überraschendes Erlebnis. Und zwar sah ich kurz vor Stará Ľubovňa, ich war gerade auf der Suche nach einer Tankstelle, einen Wegweiser nach Chmelnica – und erstarrte. Sollte das wirklich die Sprachinsel Hopgarten/Chmelnica sein, das einzige Dorf in der Slowakei, wo noch die Mehrheit der Bevölkerung

Begrüßung in Hopgarten

Deutsch (bzw. einen schlesischen Dialekt spricht)? Ich habe erst getankt, mich dann versichert, dass es das richtige Chmelnica ist und bin in das Dorf gefahren.

Deutsche Aushänge

Dass es hier eine deutsche Minderheit gibt, wird schnell klar (durch Aufschriften), aber natürlich waren kaum Leute unterwegs. Ich bin zur Kirche gelaufen, vor der Glocken mit deutschen Inschriften standen,

Glocken vor der Kirche

und habe kurz gelauscht, aber der Rosenkranz wurde auf Slowakisch gebetet. Auf dem Rückweg zum Auto  begegneten mir noch mehrere ältere Damen, die ich aber nicht angesprochen habe. Und dann sah ich ein altes Paar kommen, das ich aus einiger Entfernung fotografiert habe. Genau sie sprachen mich dann auch an, ob ich aus Deutschland sei, und wir haben uns ein bisschen unterhalten. Sie hatten Angst, dass ich sie nicht verstehe, weil sie Dialekt sprechen, aber das war wirklich kein Problem. Wir sprachen über die aktuelle Situation, wo das Deutsche immer mehr abnimmt (auf die Frage, ob die Jungen noch deutsch sprechen, meinte die

Älteres Paar in Hopgarten

die Frau: „Selten“), wo immer mehr Slowaken und „Russenen“ (eine schöne Kontamination von Ruthenen und Russinen) zuwandern und wo die jungen Leute abwandern, weil es keine Arbeit gibt. Alle drei Söhne des Paars arbeiten in Deutschland, jeweils einen Monat, leben aber im Prinzip in Hopgarten. Und die alten Zeiten waren auch nicht besser, sie erwähnten die Kollektivierung und das Verbot, Deutsch zu sprechen. Die wirklich guten alten Zeiten vor 1939 haben sie vermutlich nicht mehr aktiv erlebt.

Das war der Bericht für gestern. Heute geht es weiter nach Ostböhmen, wahrscheinlich ohne viele Halte, sodass es dann morgen früh noch weniger zu berichten gibt. Aber vielleicht übermorgen wieder mehr…

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