Als ich am Morgen des 2. August mit dem Auto von Tübingen abgefahren bin, hatte ich feste Vorstellungen von meinem diesjährigen Sommerurlaub. Ich wollte zunächst für ein paar Tage zu einem Bekannten im slowakischen Trstená fahren (das liegt in der Nordslowakei in der Region Orava) und dann andere Teile der Slowakei aufsuchen, speziell den ungarisch besiedelten Süden. Und Mitte August wollte ich zurückfahren.
Die ersten Stunden meiner Reise verliefen planmäßig und ich kam gut voran, trotz der schrecklichen Hitze, und mit wenigen Erlebnissen. An einer Raststätte zwischen Heilbronn und Nürnberg habe ich Tramper mitgenommen, ein Pärchen aus Flensburg, das auf dem Weg nach Wien war (warum sie gerade an dieser Autobahn standen, werde ich hier nicht mitteilen, obwohl sie es mir erklärt haben), die habe ich aber kurz vor Nürnberg wieder abgesetzt. Und kurz vor Pilsen wollte ich eine Kollegin wegen einer dringenden Studienangelegenheit anrufen (natürlich mit Freisprechanlage), da war aber die Verbindung so schlecht, dass ich von der Autobahn heruntergefahren bin. Und ich geriet in eine Gegend, wo lauter freundliche junge Damen am Straßenrand standen und mir zuwinkten – ich wusste gar nicht, dass das noch aktuell ist…
Dann ging es weiter, vorbei an Prag und Brünn, nach 17 Uhr fuhr ich schon auf der Schnellstraße, die zur slowakischen Grenze führt. Und auf einmal knallt es, ich sehe über mir Bäume und mein Auto steckt im Straßengraben neben einem Hang. Offenbar war ich einen kurzen Moment eingenickt und bin von der Straße abgekommen. Erst konnte ich gar nicht aussteigen, da half mir ein Mann, der den Unfall gesehen und angehalten hatte, gleich gesellte sich ein weiterer hinzu. Der erste rief die Polizei, der zweite blieb bis zu deren Eintreffen bei mir. Mir selbst war nach erstem Eindruck nichts passiert, dem Auto etwas mehr. Aber immerhin konnten wir den Kofferraum öffnen und suchten dort die Warnweste. Der junge Mann meinte nämlich, ich bekäme Probleme, wenn ich keine Warnweste trage, und brachte mir, als wir die Weste nicht fanden, eine aus seinem Auto.
Wenig später trafen zwei Polizisten ein und nahmen den Unfall auf. Sie ließen sich alle meine Ausweise zeigen, ich durfte auch in ein Röhrchen blasen, wodurch dann aktenkundig wurde, dass ich keinen Alkohol getrunken hatte. Sie fanden dann auch in meinem Auto die Warnweste und das Warndreieck… Außerdem versuchten sie mich zu überzeugen, dass sie einen Krankenwagen holen sollten, dem habe ich dann auch zugestimmt, weil ich an der linken Brustseite leichte Schmerzen hatte (vermutlich eine Prellung durch den Sicherheitsgurt). Einen Abschleppwagen konnten sie hingegen nicht holen, das sollte ich machen, und sie gaben mir zu diesem Zweck immer neue Telefonnummern, wo ich angerufen habe, aber niemand abnahm. Gleichzeitig neigte sich der Akku meines Handys allmählich dem Ende zu. Und ich habe beim Packen der Dinge, die ich mitnehmen wollte, leider das Ladekabel vergessen…
Bis zum Eintreffen des Krankenwagens baten sie mich noch in ihr Fahrzeug, wo sie sich auch über aktuelle Themen aus Deutschland unterhalten wollten, nämlich über Fußball und Migranten. Bei beiden Themen musste ich sie enttäuschen: Zum Ausscheiden Deutschlands meinte ich, ich hätte davon gehört, aber kein Spiel selbst angeschaut, zur Feststellung, dass die Migranten wohl ein großes Problem seien, meinte ich, die meisten seien schon lange da und völlig integriert, und es würden nur Einzelfälle aufgebauscht. Zum Glück kam dann bald der Krankenwagen.
Im Krankenwagen saßen eine Krankenschwester und der Fahrer. Die Krankenschwester untersuchte mich kurz, maß den Blutdruck und überschüttete mich mit Fragen. Auch sie wollte diverse Ausweise sehen und sie war die ersten von vielen, der ich erklären musste, was es bedeutet, dass ich privat versichert bin. Begeistert war ich vor allem von ihrem unverfälschten ostmährischen Dialekt, der mich dazu veranlasste, kurz vor der Abfahrt des Krankenwagens noch auf Facebook zu vermerken, dass ich mich zu „Dialektstudien in Buchlovice“ befände. Ich dachte nämlich, man bringe mich nach Buchlovice, dem nächsten größeren Ort. Das war aber nicht so, Buchlovice besteht wohl vor allem aus einem Schloss und einem Dorf, das Ziel war die nächste größere Stadt Uherské Hradiště, wo ich schon öfter war (das erste Mal 1992). Den Unfall hatte ich in den sog. Buchlovské hory, einer Gegend, die wohl durch ihre häufigen Unfälle bekannt ist, dazu habe ich dann in den nächsten Tagen einiges gehört.
Im Krankenhaus wurde ich dann ungefähr zweieinhalb Stunden lang gründlich untersucht. Mehrere Ärzte befragten mich, ich wurde geröntgt, mit Ultraschall untersucht, es wurde Blut abgenommen und ein Arzt überprüfte sogar meinen Geisteszustand, indem er mir erst zwei und dann einen Finger hinhielt, mit der Frage, wie viele Finger ich sehe. Da bin ich so erschrocken, dass ich das Zahlwort eins falsch dekliniert habe. Ansonsten war mein Tschechisch aber doch so gut, dass fast alle Gesprächspartner es anerkennend kommentierten. Offengestanden weiß ich auch nicht, wie das alles ohne Tschechischkenntnisse höheren Niveaus gelaufen wäre… Ein Arzt sagte, er sei froh, dass er nicht seine Deutschkenntnisse aus dem Gymnasium auspacken müsse. Das wäre natürlich interessant gewesen, aber für andere Zwecke als für eine medizinische Untersuchung.
Das Ergebnis der Untersuchungen war, dass mir nichts weiter passiert ist, bis auf die schon erwähnte Prellung. Da es sich um ein modernes und gut organisiertes Krankenhaus handelt, das ich in jeder Hinsicht nur loben kann, kann ich wohl auch sicher sein, dass nicht später noch etwas auftaucht.
Irgendwann nach 22 Uhr wurde ich in ein Zimmer eingewiesen, sinnigerweise in der Orthopädie (vermutlich hatten sie anderswo keines frei). Dort lag ein jüngerer Mann, der sich einen Wirbel gebrochen hat und sich daher kaum bewegen kann, der aber ansonsten nett und gesprächig war. Vor allem hat er mir aber sein iPhone-Ladegerät angeboten. Das war sehr sinnvoll, denn mein Akku war inzwischen leer. Und als ich ihn wieder einigermaßen geladen hatte, stellte sich heraus, dass die Polizei versucht hatte, mich zu erreichen. Außerdem hatten sie mir per SMS Telefonnummern weiterer Abschleppdienste geschickt.
So konnte ich nun endlich einen Abschleppdienst finden, der bereit war, das Auto nach Uherské Hradiště zu bringen. Nach einigen Hindernissen (den Autoschlüssel hatte die Polizei nämlich zwischenzeitlich ins Krankenhaus gebracht, wo er wieder geholt werden musste) wurde das Auto dann kurz nach Mitternacht in Sicherheit gebracht. Kurz nach Mitternacht kamen dann auch noch die beiden Polizisten bei mir vorbei, die den Vorgang abschließen wollten, weil der eine von ihnen am nächsten Tag in den Urlaub fuhr. Ich habe ein Protokoll unterschrieben und eine Geldstrafe bezahlt, die sich wirklich in Grenzen hielt. Wie ich erfuhr, habe ich auch den tschechischen Staat geschädigt, weil ich den Bordstein beschädigt habe, aber glücklicherweise ist der tschechische Staat gegen so etwas versichert. Gegen 1 Uhr durfte ich dann wirklich schlafen.
Geht doch nichts über Schutzengel und ein funktionierendes Gemeinwesen!
Gut, dass Ihneb nichts passiert ist Herr Berger… mein Examen in Tschechien zu absolvieren wäre zwar eine Herausforderung, jedoch ist mir Tübingen dann doch lieber… Ich hoffe Sie sind gut genesen und haben noch ein paar weniger spektakuläre Tage.