10. August 2015: Von Nowy Sącz bis Krosno

Gestern morgen bin ich gleich nach dem Frühstück aufgebrochen, um pünktlich um 9 Uhr am jüdischen Friedhof zu sein. Und es war auch sehr sinnvoll, pünktlich zu sein, denn die düsteren Vorahnungen vom Vorabend haben sich nicht bewahrheitet. Als ich zum Friedhof kam, war gegenüber das Tor für die Männer weit geöffnet und hinter dem  stand eine Dame, die gerade

Gedenkstätte für eine ermordete Familie

Blumen goss. Ich ging auf sie zu und sprach sie an, und sie meinte, ich sei ja sicher der, der sich per SMS für 9 Uhr angekündigt hat. Ich habe dann gestanden, dass ich keine Kippa dabei habe, darauf ging sie ins Haus und kam mit einer Kippa in der Hand, einem Hut auf dem Kopf und einem Jäckchen, das ihre Schultern bedeckte, zurück. Und dann führte sie mich auf den Friedhof, der wirklich sehr beeindruckend war, vor allem weil sie sehr klar und in gut verständlichem Polnisch vieles zum Friedhof erzählte.

Hinter dem Eingang kommt erst eine größere freie Fläche. Hier hatte man nach dem Krieg einen Markt eingerichtet, der dann auf Drängen von Jakub Miller, einem Überlebenden, der sich um diesen und viele andere Friedhöfe gekümmert hat, aufgehoben und wieder dem Friedhof zugeschlagen wurde. Dort stehen aber keine Grabsteine, denn wie meine Begleiterin

Gut erhaltene Grabsteine

sagte, dürften nur da Grabsteine stehen, wo auch Gräber sind. Im Weiteren sieht man auf dem Friedhof sowohl Grabsteine, die oben rund sind, die sind an der ursprünglichen Stelle, und solche, die oben abgeschlagen sind, die stehen auf Gräbern, aber nicht an der ursprünglichen Stelle. Ferner gibt es eine Reihe von Denkmälern für Gruppen, die von den Nazis ermordet wurden (am Rande des Friedhofs auch eines für die Christen, die dort erschossen wurden) und Vertiefungen, unter denen Massengräber liegen – das ist alles sehr bedrückend. Zwei gemauerte Mausoleen (auf Hebräisch

Ohel der Familie Halberstam

heißen sie Ohel) wurden nach dem Krieg wiederaufgebaut. Im größeren liegt der chassidische Rabbi Chaim Halberstam mit Nachfahren, im kleineren ein anderer Rabbiner derselben Zeit. Das Grab von Rabbi Halberstam ist bedeckt mit Zetteln, auf denen seine Anhänger Wünsche formulieren (sie heißen kwitele). Meine Begleiterin berichtete, dass jedes Jahr im Mai Chassidim aus der ganzen Welt zu diesem Grab kommen, und auch ein Nachfahre des Rabbis, der den Bau aufrichten lässt, in dem dann Besucher wohnen können. Ich habe den Ort tief beeindruckt verlassen und komme sicher wieder.

Dann bin ich in Richtung Krosno gefahren, wo ich als nächstes Station machen wollte. Unterwegs habe ich in Gorlice Halt gemacht, einer Stadt, von der ich noch nie gehört habe, die aber sehr

Denkmal für Ignacy Łukasiewicz

interessant ist. Sie wurde 1355 angeblich von einer französischen Adelsfamilie gegründet, die dort Leute aus Görlitz ansiedelten (daher soll der Name kommen, was insofern lustig ist, als ja auch Görlitz ein slavischer Name ist). Später war der Ort eine

Hauptplatz von Gorlice

Hochburg der Reformierten (sic), im 19. Jahrhundert dann eines der Zentren der beginnenden Erdölindustrie. Von besonderer Bedeutung war hier Ignacy Łukasiewicz (1822–1882), der Erfinder der Petroleumlampe. Und erst nach deren Erfindung ging es mit der Erdölförderung so richtig los, die in dieser Gegend (und weit in den Süden und Osten bis in die Ukraine) heute noch betrieben wird. In der Stadt selbst gibt es nicht viel zu sehen, weil sie mehrfach zerstört wurde, zuletzt 1915 im Ersten Weltkrieg (da gab es auch eine Schlacht bei Gorlice-Tarnów), aber die Anlage ist interessant, mit einem tiefer gelegenen Platz, über dem das Rathaus und eine Kirche emporragen.

Auf der Weiterfahrt bin ich noch einmal abgebogen, um einen Soldatenfriedhof zu suchen. Den habe

Brücke über die Ropa

ich zwar nicht gefunden, dafür aber ein Schlösschen, das sicher aus der Zeit des Erdölbooms stammt, und einen Fluss namens Ropa. Dessen Namen hat mich fasziniert, weil ropa auf Tschechisch und auch auf Polnisch „Erdöl“ heißt. Sollte das

Schlösschen am Straßenrand

Erdöl nach dem Fluss benannt sein? Damit muss ich mal genauer beschäftigen, erste Internetrecherchen lassen vermuten, dass die Lage ziemlich verworren ist.

Als nächstes wollte ich Jasło besuchen, Geburtsort des polnischen Mathematiker Hugo Steinhaus. Da habe ich mich aber verfahren und es war schon heiß, dass ich auf Jasło verzichtet habe – wenigstens bin ich durch das „Rondo Hugona Steinhausa“ gefahren. Und in der Hitze bin ich dann auch nur noch schlecht vorangekommen, habe einige Pausen und Umwege gemacht, um dann gegen 13:30 in der Nähe von Krosno einzutreffen. Den Nachmittag habe ich dann ziemlich verplempert, u.a. mit Hotelsuche (ich habe aber etwas gefunden) und einem Spaziergang in der überhitzten Fußgängerzone. Manches soll aber heute besucht werden, so beispielsweise das Muzeum Podkarparskie und eine Holzkirchen in Haczów, das ursprünglich mal Hanshoff hieß und auch von Walddeutschen besiedelt war. Wer weiß, vielleicht begegne ich ja einem?

1 Kommentar

  • Zunächst einmal vielen Dank für die äußerst interessante Schilderung Deines vormittäglichen Besuchs des Friedhofs, aber auch von Gorlice und vor allem die Problematik des Flussnamens "Ropa". Auf der Homepage der Stadt Gorlice steht ja gleich als erster Satz zu Ropa: "To rzeka, która budzi emocje, czasem nawet kontrowersje." In der polnischen Wikipedia, die Du sicher auch kontaktiert hast, steht: "Nazwa rzeki ma prawdopodobnie etymologię celtycką." Und als Quellenangabe dazu wird geliefert: "[…] celtyckie nazwy rzek, głównie dopływów Wisły, jak Raba, Ropa, San i inne " [w:] Światowit. Rocznik poświęcony archeologii i badaniom pierwotnej kultury polskiej i słowiańskiej. Państwowe Wydawn. Naukowe. 1962. 254.; "[…] cytowane w literaturze, a więc: San, Raba, Ropa oraz braha albo bryja, sługa, hak, szczęka (patrz prace Mikołaja Rudnickiego, Jan Rozwadowskiego. Nazwy Wisły i jej dorzecza. Monografia Wisły. 2. – Studia nad rzek słowiańskich, I. Rozprawa. PAU. XLIII; przypisy tamże)" [w:] Janina Rosen-Przeworska. Tradycje celtyckie w obrzędowości Protosłowian. Ossolineum. 1964. str. 117; "Puisqu'il est impossible de les enumerer tous citons moins: Brda, Brenna, Bzura, Drwęca, Mroga, Nida, Raba, San, etc. Bzura selon Jan Michał Rozwadowski correspond avec Brigulos, Drwęca aves Druentia, Durance, Nida avec Nidder, Raba avec Raab, San avec Sadne et Sein." [in:] Ethnologia Polona. Instytut Historii Kultury Materialnej (Polska Akademia Nauk). 1981. p. 49."
    Auf den ersten Blick erscheint damit alles klar, aber nicht so, wenn man eine Karte mit den polnischen Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Region mit der Karte des Quellgebiets der Ropa vergleicht, denn hier gibt es doch eine erstaunliche Deckung. Liest man dann noch in der slowakischen Wikipedia: "Názov ropa pochádza z poľštiny, v preklade znamená „hnis“, ide o pôvodné staré označenie miestnych soľných prameňov." und an anderer Stelle: "Kedysi existovali lokality, kde ropa prirodzene vyrážala na zemský povrch. Dodnes sú takéto ropné pramene ropy známe napr. z Kysúc (Korniansky ropný prameň) a Oravy.", stellt man sich natürlich schon die Frage, was dort tatsächlich an Spuren zu finden ist: Kelten oder doch eher Erdöl. Ich habe mich dann gleich auch an die Zeitungsberichte vom Frühjahr und Sommer erinnert, die ja auf slowakischer Seite gar nicht weit von Dir entfernt die Ölfunde besingen: "Američania budú ťažiť ropu na východe: Šéf firmy Slovákom sľubuje prácu a nezávislosť od Ruska. Stane sa Slovensko ropnou veľmocou? Ropu chce získať z troch ložísk na severovýchode nášho územia. Vzťahujú sa na územia v Krivej Oľke v okrese Medzilaborce, Ruskú Porubu v okrese Humenné a Smilno v okrese Bardejov." Man sollte der tatsächlichen Etymologie des Flusses vielleicht doch noch einmal auf den Grund gehen.

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