16. August 2012: Balassagyarmat – Szécsény – Hollókő – Szügy

Auch an diesem Tag saß ich morgens länger auf der Veranda, ich wusste ja, dass das Palóczen-Museum erst um 10 Uhr öffnet. Die Palóczen sind ein ungarischer Stamm, der hier in der Gegend ansässig war, der Name soll mit dem der Polovcer in Südrussland verwandt sein. Das mag so sein, die materielle Kultur der Palóczen erschien mir trotzdem eher langweilig. Sie haben halt Volkstrachten getragen (wie viele andere auch), haben Dudelsack gespielt und trugen Schnurrbärte… Vielleicht gilt das ja alles auch für die Polovcer, aber so genau habe ich die altrussischen Texte über diese nicht in Erinnerung.

Das Wichtigste habe ich aber noch gar nicht gesagt: In diesem Museum war alles nur ungarisch beschriftet, außer der Information über die Öffnungszeiten und den Toiletten. Insofern kann ich nicht völlig verbürgen, dass ich alles richtig verstanden habe. Es wurden auch lauter ungarische Geistesgrößen gefeiert, die in irgendeinem Bezug zu Balassagyarmat stehen, nur von Dobrovský keine Spur. Dafür gibt es eine Gedenktafel für Božena Němcová, ich weiß aber wirklich nicht, was die mit Balassagyarmat zu tun hatte. Sehr interessant fand ich schließlich ein Plakat der tschechoslowakischen Truppen, die die Stadt 1919 besetzt haben. Leider ist das Foto nichts geworden, aber ich kann wenigstens den Namen des kommandierenden Generals verraten: Er hieß Ľudevít Picchione, eine perfekte altösterreichische Synthese!

Nach dem Museum habe ich die katholische Kirche besucht, in die ich gestern nicht hineinkonnte, weil Gottesdienst war. Heute kam ich nur in den Vorraum, aber auch so hat mich die Kirche sehr beeindruckt. Sie wurde nämlich 1740 gebaut, d.h. Dobrovský könnte in ihr getauft worden sein. Ganz sicher ist das nicht, denn die Garnison könnte auch selbst eine Kirche gehabt haben – sie hatte ja auch sicher einen eigenen Kaplan usw. Wahrscheinlich kann man das alles irgendwo nachlesen, aber am Eindruck ändert es nichts.

Anschließend bin ich mit dem Auto nach Szécsény gefahren, wo es ein schönes Barockschloss gibt. Dieses ist tatsächlich sehr schön, über das Museum, das in dem Schloss untergebracht ist, kann man streiten. Die Dauerausstellung beschreibt die Geschichte des Komitats Nógrád (dessen Hauptstadt Balassagyarmat zeitweise war) von der Urzeit bis in die Gegenwart. Jeweils die erste Tafel in jedem Raum ist auch ins Englische übersetzt, alles Weitere muss man raten. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird weder berichtet, wann die Ungarn sich angesiedelt haben, noch ob es da auch andere Völker gab (womöglich sogar Slaven?). Dafür gibt es eine Figurengruppe, die gerade dabei ist, einen verstorbenen Verwandten für die Verbrennung einzuwickeln, und es wird behauptet, die (nie in Kraft getretene) Rákoczi-Verfassung von 1705 (?) sei die erste Verfassung weltweit gewesen, die Minderheitenrechte garantiert habe. So etwas kann man ja glauben, aber ob man es unbedingt auf Englisch bekanntgeben muss?!

Weiter ging es dann nach Hollókő. Das ist ein Ensemble aus einer mittelalterlichen Burg und einem Palóczen-Dorf. Die Burg ist eindrucksvoll und gut in Schuss, die Ausgrabungen werden auch gut kommentiert, aber natürlich wieder auf Ungarisch. Und auch der Nationalist kommt auf seine Kosten, denn im obersten Raum der Burg steht ein Soldat, der sicherlich das christliche Ungarn repräsentiert. Das Dorf war ganz nett, aber für Palóczen-Erfahrene nicht besonders überraschend. Leicht verwirrend fand ich nur die massive Anwesenheit italienischer Tourist/innen. Dass Hollókő zum Weltkulturerbe gehört, habe ich erst heute Abend gelesen und kann nur sagen, dass es sich jedenfalls nicht mit Timbuktu messen kann.

Damit war das Programm für diesen Tag eigentlich abgeschlossen. Weil es noch nicht sehr spät war, beschloss ich, nicht direkt nach Balassagyarmat zurückzufahren, sondern in einem Bogen von Hollókő nach Nordwesten. Da kam ich durch Dörfer mit wunderschönen, unaussprechlichen Namen (am besten war Cserhátsurány) und war schon enttäuscht, als die Namen wieder einfacher wurden, erst Mohora und dann Szügy. Aber Szügy hatte eine Überraschung für mich parat, die ich nicht erwartet hätte. Am Ortseingang war nämlich ein zweites kleineres Namensschild Sudice, d.h. hier gibt es eine slowakische Minderheit!

Der Ort war schnell zu Ende, aber ich habe sofort gewendet, um nach den Slowak/innen zu suchen. Das war nicht ganz einfach, denn das Dorf war in der Mittagshitze völlig menschenleer. So habe ich erst das Kriegerdenkmal und die katholische Kirche aufgesucht, da war aber alles ungarisch. Die evangelische Kirche wird gerade renoviert, da standen überhaupt keine Aufschriften. Und den Friedhof habe ich nicht gefunden. Dafür fiel mir in einer kleinen Straße ein Haus auf, an dem Dedinské muzeum, d.h. ‘Dorfmuseum’ stand.

Die Gartentür war offen, das Haus aber verschlossen, so klingelte ich etwas zögernd am Nachbarhaus. Eine jüngere Frau schaute heraus und ich fragte ganz kühn auf Tschechoslowakisch nach dem Museum. Sie lächelte freundlich, redete aber auf Ungarisch weiter – zum Glück verstand ich das Wort kulcs, ‘Schlüssel’. Sie verschwand im Hintergrund und kam nach wenigen Minuten mit dem Schlüssel heraus.

Das Museum besteht nur aus zwei Räumen mit dem üblichen Inventar. Die Slavizität der Bewohner wird vor allem durch Wandschmuck und Bücher demonstriert, darunter waren freilich auch deutsche Bücher. Während wir noch das Haus besichtigten, kam eine ältere Frau auf dem Fahrrad daher, die ich natürlich auch gleich gefragt habe, ob sie Slowakisch kann. Sie sagte maličko, konnte es aber ganz gut, also jedenfalls besser, als ich Ungarisch kann. Sie hat mir dann erzählt, ihre Mutter habe mit ihr nicht Slowakisch gesprochen und in der Schule habe sie auch nur Ungarisch gelernt. Und sie riet mir dringend, Ungarisch zu lernen. Leider habe ich mich nicht getraut, sie zu fotografieren, und zur Zahl der dort noch lebenden Slowak/innen hat sie sich nicht geäußert und sich auf die Bemerkung beschränkt, diese seien alle sehr alt. In der ungarischen Wikipedia habe ich inzwischen gelesen, dass 2001 noch 8% der Bevölkerung Slowaken gewesen seien. Vor diesem Hintergrund finde ich es beachtlich, dass der Ort ein eigenes slowakisches Museum hat. Aber wahrscheinlich waren die 8% nur die, die sich zu ihren slowakischen Wurzeln bekennen wollten.

Soweit für heute, morgen fahre ich dann ins kalvinistische Rom!

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