Über den Donnerstag gibt es eher wenig zu berichten. Ich hatte vor, an diesem Tag von Balassagyarmat zu meinem nächsten Ziel, nach Bekešská Čába alias Békéscsaba, zu fahren, in das ehemalige Zentrum der Slowaken in Ungarn. Das kalvinistische Rom, das ich am Ende des letzten Eintrags erwähnt hatte, war nur als Zwischenstopp gedacht. Es geht hier um Debrecen, das so halb am Weg von Balassagyarmat nach Békéscsaba liegt und das diesen Beinamen erhalten hat, weil es in der Frühen Neuzeit und bis ins 19. Jahrhundert das Zentrum des Kalvinismus in Ungarn war.
Vor der Abreise wollte ich noch kurz den Friedhof von Balassagyarmat besuchen. Der Besuch des Friedhofs gehört für mich zum Pflichtprogramm, insbesondere studiere ich dort gerne, wie sich die Bevölkerungsverschiebungen früherer Jahrhunderte dort niederschlagen. Der Friedhof war nicht gerade einfach zu finden. Er liegt am Stadtrand auf zwei Seiten einer kleinen Straße und ist riesengroß. Überhaupt scheinen für Ungarn richtige Nekropolen charakteristisch zu sein, oder aber man hat noch gar nicht angefangen, Gräber aufzulösen (diesen Zustand kenne ich aus Ostböhmen). Auf dem Friedhof von Balassagyarmat scheint es fast nur ungarische Grabinschriften zu geben. Erst nach längerer Suche habe ich einen slowakischen Grabstein von 1884 gefunden, kaum noch zu lesen und einer merkwürdigen Orthographie. Dass madjarisierte Slowaken einen gewissen Anteil an der Bevölkerung bilden, kann man aber der Tatsache entnehmen, dass auf vielen Gräbern slowakische Nachnamen stehen, natürlich in ungarischer Schreibung. Kombiniert mit dem sonderbaren ungarischen Brauch, dass der Vorname der Frau verschwiegen und diese nur durch das Suffix -né am Namen des Mannes bezeichnet wird.
Da ich nun endlich das schöne Wort temező‘Friedhof’ gelernt hatte, habe ich auch noch den zsidő temező gefunden und besucht. Auch dieser ist sehr groß und die jüdische Gemeinde von Balassagyarmat scheint bedeutend gewesen zu sein. Dafür spricht auch die Gedenktafel für die Opfer des Holocaust am Eingang zum Friedhof. Aus der Nachkriegszeit stammt nur noch eine Reihe von Gräbern…
Gegen 9 Uhr bin ich von Balassagyarmat aufgebrochen. Ich fuhr über Sálgotárjan und Hatvan in Richtung Osten, wobei es leider immer heißer wurden. In Debrecen hatte es dann wieder um die 30 Grad und meine Lust zu einer ausführlichen Besichtigung der Stadt war eher gering. Ich habe dann in der Nähe der kleinen Reformierten Kirche geparkt (die vor allem dadurch auffällt, dass der Turm oben flach abschließt, die Kuppel ist 1909 bei einem Sturm heruntergefallen). Der Besuch der großen Reformierten Kirche, der größten protestantischen Kirche Ungarn, in der Kossúth 1849 die Unabhängigkeit ausgerufen hat, stieß dagegen auf Schwierigkeiten.
Die ältere Kalvinistin an der Kasse beschimpfte mich wild in ihrer Muttersprache, und ich habe erst nach einiger Zeit verstanden, dass sie den 1000-Forint-Schein nicht wechseln konnte. Überhaupt bin ich immer wieder fasziniert, wie Ungarn ignorieren, dass ihr Gesprächspartner ihre Sprache nicht kann – sie scheinen nicht einmal über Strategien zu verfügen, mit Einwortsätzen zu kommunizieren. Am liebsten wäre ich jetzt weitergefahren, aber ich habe dann nach einem Geschäft gesucht, wo ich etwas Sinnvolles kaufen kann, und bin mit einer Zahnpasta und einem 500-Forint-Schein in die Kirche zurückgekehrt. Die Kalvinistin war auf einmal sehr freundlich, ich durfte eine Karte kaufen und musste dann zu meinem Schrecken feststellen, dass das Programm mit der Besteigung des Turms beginnt. Diesen Ausflug habe ich nolens volens absolviert und auch von oben ein Foto gemacht, obwohl überall stand, dass man nicht fotografieren darf. Und als kleine Rache habe ich auch in der Kirche fotografiert – wo es freilich nicht viel zu sehen gibt. Für Kalvinisten bedeutet ja vermutlich schon eine andersfarbige Orgel ein ungeheures Zugeständnis. Und so habe ich Debrecen doch wieder als überzeugter Lutheraner verlassen.
Nach Békéscsaba waren es eigentlich nur noch 60 km, ich habe aber mehrfach Pausen gemacht. Spuren der ehemaligen slowakischen Mehrheitsbevölkerung gab es am Wegesrand nur spärlich, aber gleich der erste Ort hat dafür gleich drei Ortsnamen, einen ungarischen und zwei slowakische… Bei der Einfahrt nach Békéscsaba fiel mir dafür auf, dass es nur ein ungarisches Ortsschild gibt, aber an einer anderen Einfahrt gab es doch ein slowakisches. Ich habe mich hier im Traditionshotel Fiumeeinquartiert, wo das Einzelzimmer merkwürdigerweise billiger ist als im Motel von Balassagyarmat, und will in den nächsten Tagen von hier aus die Umgebung erkunden. Außer der Stadt selbst scheinen auch das Städtchen Békés, nach dem das Komitat benannt ist, und Gyula, die Heimat der Ahnen von Albrecht Dürer, von Interesse.