Tilman Bergers Blog

17. August 2021: Włodawa, Sobibór und noch einmal Chełm

Heute kommt der Text über gestern wieder etwas später, irgendwie wollte ich heute morgen früh aufbrechen und habe es nicht mehr geschafft. Dafür tippe ich jetzt gerade in einem Café am Hauptplatz von Zamość.

Es mag überraschen, dass ich gestern noch einmal nach Włodawa gefahren, obwohl ich doch am Vortag schon dort war. Aber das hat zwei Gründe: Erstens habe ich erst später gemerkt, was es in Włodawa alles zu sehen gibt, zweitens wäre ich vorgestern nicht in das Museum hineingekommen, weil es am Montag geschlossen hat. Also bin ich gestern noch einmal hingefahren, übrigens bei angenehm kühlem Wetter ohne Regen (geregnet hatte es in der Nacht und am frühen Morgen). Gegen 11 Uhr war ich in Włodawa, kam auch prompt noch einmal an der Mostowa vorbei, habe sie aber dieses Mal verschmäht. Ich suchte nach einem Parkplatz, der möglichst nahe am Stadtzentrum sein sollte – und das war auch nicht weiter schwierig, weil Włodawa so klein ist, dass alles nahe beim Stadtzentrum ist. In wenigen Minuten war ich am Hauptplatz der Stadt, der momentan allerdings völlig aufgerissen ist, weil gebaut wird, bewunderte ein Kriegerdenkmal aus Steinblöcken, dem man nicht gleich ansieht, dass es sowjetische Soldaten darstellen soll, und gelangte auf der anderen Seite des Platzes in die Ulica Czerwonego Krzyża (Straße des Roten Kreuzes). Dort war bis zum Zweiten Weltkrieg das jüdische Wohnviertel und dort befindet sich ein wirklich einmaliger Komplex von zwei Synagogen und einem Gemeindehaus. Zur Zeit ist nur die aus dem 18. Jahrhundert stammende Große Synagoge zugänglich, die Kleine Synagoge und das Gemeindehaus werden renoviert. In den Arkaden am Eingang zur Synagoge stehen drei neuzeitliche Figuren, über die ich länger nachgedacht habe, so lang, dass ich dann vergessen habe, sie zu fotografieren. Deshalb verlinke ich hier ein Foto, das ich im Internet gefunden habe. Es ist deshalb interessant, weil es ein gutes Auskommen zwischen Orthodoxen, Katholiken und Juden darstellt – das es zwar sicher zeitweise gegeben hat, aber nicht immer. Die Kalvinisten werden dagegen verschwiegen, obwohl die Stadt im 17. Jahrhundert einem wichtigen Führer der Protestanten gehört hat, nämlich Rafał Leszczyński (1579–1636). Sein Urenkel Stanisław Leszczyński (1677–1766) war zweimal für kurze Zeit König von Polen (1704–1709 und 1733–1736), da war die Familie aber längst wieder katholisch.

Zurück zur Großen Synagoge, die wirklich sehr beeindruckend ist. Der Raum stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist im Stil  des Spätbarocks gebaut. Und die Bima ist wunderschön bemalt. Rund um den Saal herum stehen Vitrinen mit Gegenständen des jüdischen Kultus, z.T. auch aus Włodawa – die Personen, die die Gegenstände gerettet haben, werden jeweils auch namentlich genannt. Im Obergeschoss ist ein Raum, in dem angeblich ein jüdischer Lehrer unterrichtet hat (damit man es glaubt, stehen dort jetzt auch zwei Figuren in jüdischer Kleidung), daneben gibt es eine Ausstellung über Arbeitslager in der Gegend von Włodawa – die war sehr bedrückend. Die jüdische Bevölkerung der Gegend wurde nämlich 1940/41 in insgesamt 13 Arbeitslager in der Region gebracht und dort zur Zwangsarbeit gezwungen. Später wurden auch Jüdinnen und Juden aus anderen Gegenden dorthin deportiert (z.B. aus Wien). Und am Schluss wurden alle nach und nach in Sobibór ermordet.

Neben der Synagoge befindet sich das Kino „Zachęta“, das auch eine Rolle bei der Verfolgung gespielt hat, dort wurden im Sommer 1942 Juden inhaftiert und z.T. getötet. Und auf der anderen Straßenseite stehen Holzhäuser, vermutlich Reste des Ghettos – auf einem von ihnen ist ein großes Bild angebracht, das eine jüdische Familie zeigt.

Gerne hätte ich dann zu Mittag gegessen, aber das war in Włodawa schwierig. Nach längerer Suche fand ich wenigstens ein Café, wo ich einen Latte Macchiato und Pfannkuchen mit Quarkfüllung zu mir genommen habe. Ein Herr am Nebentisch bestellte einen Kaffee „moczato“, ich will lieber nicht wissen, ob das dasselbe ist…

Dann bin ich weitergefahren nach Sobibór, um das ehemalige Vernichtungslager zu besichtigen. Das KZ liegt allerdings nicht beim Ort, sondern 10 km weiter, bei der Eisenbahnstation (das war auch in Treblinka so, die Nazis hatten kein Interesse daran, dass die Lager zu nahe bei den Orten lagen, es sollte ja möglichst viel im Verborgenen abgewickelt werden). Gegenüber vom heutigen Bahnhof liegt das Gelände, mit einem Museum und (natürlich) einem großen Parkplatz. Ich war zunächst im Museum, das ich ziemlich gut gemacht finde (was nicht heißen soll, dass man sich dort gut fühlt…). Es informiert über die Geschichte des Lagers, über seinen Aufbau und die dort Inhaftierten bzw. Ermordeten. Besonders betroffen war ich von mehreren Fotos, die zeigen, wie eine Gruppe von Jüdinnen und Juden in Kassel einen Zug besteigen, der sie letztlich nach Sobibór gebracht – sie sind schwer beladen mit Gepäck, weil man ihnen gesagt hatte, sie könnten es mitnehmen. Und sie ahnen nicht, wie die Reise enden wird. Besonders ausführlich sind schließlich auch die Informationen über den Aufstand vom 14. Oktober 1943 und über die weiteren Schicksale der 47 Überlebenden.

Anschließend bin ich zum Lagergelände gegangen. Dorthin führt ein Weg, der auf beiden Seiten mit Gedenksteinen gesäumt ist. Und am Ende sieht man ein Denkmal (oder einen Turm), zu dem man aber nicht näher hingehen kann (er ist eingezäunt). Und dahinter erstreckt sich eine große Fläche, die mit kleinen weißen Steinen bedeckt ist. Anders als in Bełżec und in Treblinka wird hier nicht die Struktur des Lagers nachgezeichnet, aber das Denkmal ist auch so beeindruckend und bedrückend genug.

Von Sobibór bin ich nach Chełm zurückgefahren, habe mich erstmal erholt und Mails geschrieben, abends bin ich noch einmal auf den Burgberg gestiegen und war diesmal auch in der Kathedrale – die erstaunlich schlicht ist. Möglicherweise liegt das daran, dass so oft die Besitzer gewechselt haben… Ich war auch auf einem Hügel, wo heute ein Kreuz steht und wo im frühen Mittelalter mal eine Fürstenburg stand. Dort wurde in den letzten Jahren viel gegraben, man fand Reste von Bauten, eine Reihe von Gegenständen des täglichen Lebens, Gräber und auch – darüber hat mich mein lieber Bruder informiert – Fragmente einer byzantinischen Ikone.

In der Stadt habe ich dann noch die einzige noch stehende Synagoge gesucht, die ich am Vortag irgendwie übersehen hatte. Das ist ein ansehnliches Gebäude, in dem aber leider heute ein Restaurant ist, trotz des Widerstands von Juden weltweit, aber auch vieler Polen. Ich habe auch eine orthodoxe und eine katholische Kirche fotografiert und (von außen) ein Gymnasium besichtigt, an dessen Eingang u.a. einer Polnischlehrerin gedacht wird, die 107 Jahre alt geworden ist (ich hoffe mal, sie musste am Schluss nicht mehr unterrichten…).

Anschließend habe ich zu Abend gegessen, wieder in einer Pizzeria, aber wenigstens in einer anderen. Ich bin gespannt, ob ich am dritten Abend vielleicht noch ein „normales“ Restaurant finde…

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