22. August 2012: Stár Bišenov – Ruski Kerestur – Kula

Heute morgen bin ich etwas später aus Sânnicolau Mare weggekommen – zumindest nach der in Rumänien herrschenden osteuropäischen Zeit. Auch dieser Ort hat seine Reize, u.a. ist dort Bártok Béla geboren. Statt seines Denkmals, das ich wenig persönlich fand, habe ich aber lieber ein serbisches Bauernhaus fotografiert (s. rechts).

Ich fuhr aber schnell nach Stár Bišenov und fotografierte einige Gebäude und Aufschriften, die ich gestern noch nicht gesehen hatte, und auch zwei schöne alte Fassaden, die von besseren Zeiten zeugen. Sogar Mülltonnen, die in Banater Bulgarisch beschriftet sind, gibt es! 

Diesmal war auch die katholische Kirche geöffnet, sodass ich dort einige Fotos von Gedenktafeln machen konnte. U.a. wird dort an den Bischof Nikola Stanislávič erinnert, der die Vorfahren der heutigen Banater Bulgaren 1738 in diese Gegend geführt hat. – Mit der Vorgeschichte der Banater Bulgaren muss ich mich noch einmal etwas beschäftigen. Die Behauptung, sie seien die Nachfahren der Sekte der Paulikianer (sie nennen sich selbst palćene), erscheint mir leicht unwahrscheinlich, nachdem ich gelesen habe, dass letztere 878 ausgerottet wurden…

Anschließend ging ich wieder in den Club Stomi, der heute noch deutlicher voller war als gestern. Alle Gäste redeten Bulgarisch und der heutige Kellner reagierte, als ich ihn auf Bulgarisch ansprach, auch in dieser Sprache. Sie hatten zwar weder alkoholfreies Bier noch Mineralwasser „mit Gas“, so nahm ich eben ein Mineralwasser „ohne Gas“ und setzte mich vor der Gebäude, um Gespräche zu belauschen und vielleicht auch jemanden anzusprechen. Letzteres war offenkundig nötig, denn niemand interessierte sich für mich. Am einen Nebentisch saßen zwei bärtige Herren mit vielen leeren Bierflaschen, am anderen drei junge Männer, zu denen sich irgendwann auch zwei Mädchen gesellten. Das Gespräch wurde dann etwas rumänischer, aber auch nur in einzelnen Ausdrücken, etwa in einem Gespräch über Facebook.

Irgendwann nahm ich mir ein Herz, stand auf und ging an den Tisch mit den fünf jungen Leuten. In leicht stotterndem Bulgarisch erklärte ich, ich sei aus Deutschland und interessiere mich für das Dorf und seine Sprache. Eisernes Schweigen war die Antwort, und der Älteste am Tisch sagte, er könne kein Ungarisch. Ich habe dann versichert, kein Ungar zu sein, und ein paar Fragen gestellt, die alle derselbe junge Mann beantwortete – und alle schauten mich leicht verstört an. Dann musste ich aus dem Weg, weil Bierkästen aus dem Gebäude transportiert wurden, nachher sagte ich nur noch auf Wiedersehn und verließ den Ort des Geschehens, um mich auf den Weg in die Vojvodina zu machen.

Es war aber gar nicht so einfach, nach Serbien zu kommen. Gut, ich muss zugeben, die erste Irrfahrt wäre vermeidbar gewesen, wenn ich noch einmal nachgeschaut hätte, wie die Grenzstation heißt. Weil ich wusste, dass die Grenze nahe ist, bin ich einfach dem ersten Schild nachgefahren, war auch bald an der Grenze und habe mich nur ziemlich gewundert, dass man dort die ungarische Autobahngebühr bezahlen sollte… So bin ich zwischen den beiden Grenzstationen umgekehrt und noch einmal nach Rumänien eingereist, ohne Ungarn betreten zu haben. Dann habe ich lieber die Karte etwas genauer konsultiert und bin nach Süden gefahren, wobei dem Ort Comloşu Mare ein Übergang sein sollte. Dieser Übergang schaute aber, nachdem ich den Wegweiser zur Grenze fast übersehen hatte, ebenso aus wie gestern. Und das bei einer ordentlichen Straße, die sogar eine Nummer hat.

Also wieder zurück zur Hauptstraße und weiter nach Süden, bei Jimbolia hat der Grenzübertritt dann geklappt. Die Kontrolle war ganz nett, erst sprach der rumänische Beamte in fließendem Deutsch mit mir, dann sagte der Serbe nur noch ajde. Und ich war in der Vojvodina, diesem Daghestan des Balkans, wo Serben, Ungarn, Slowaken, Kroaten, Tschechen, Russinen usw. friedlich nebeneinander leben. Die Beschriftung springt fröhlich zwischen lateinischer und kyrillischer Schrift hin und her, meist ist sie in der serbischen Staatssprache abgefasst, aber öfter auch mal in anderen.

Die Straßen sind besser als in Rumänien, dafür gibt es erstaunlich viele Ampeln und Stoppschilder. Und über die Qualität der Straßenschilder kann man streiten. Aber jedesmal wenn ich kurz vor der endgültigen Verzweiflung stand, tauchte doch noch der Ort, in den ich wollte, auf den Schildern auf. Die erste größere Stadt, durch die ich fuhr, war Kikinda, das sich schlecht einer Nationalität zuordnen lässt. Rusko selo klang verheißungsvoll, hieß aber mit dem Untertitel auf einmal Orozháza. Und das martialisch klingende Srbobran kann man auch Szenttamás nennen. Hier habe ich mir einen Sprudel gekauft und mich bei der Verkäuferin entschuldigt, ich hätte nur ungarisches Kleingeld – worauf sie sofort ins Ungarische wechselte. Dann ging es wieder zurück ins Serbische und am Schluss verabschiedete sie mich auf Deutsch.

Kurz nach 15 Uhr war ich in Ruski Kerestur eingetroffen, meinem heutigen Ziel und dem Zentrum der sog. Bačka-Russinen, eines kleinen Völkchens, das aus der Ostslowakei zugewandert ist und seit etwa hundert Jahren fröhlich seinen ostslowakisch-ukrainischen Übergangsdialekt als Schriftsprache verwendet. Inzwischen mit eigenen Schulen, einem eigenen (griechisch-katholischen) Bischof u.a.m. Im Ortszentrum ist ein nettes Café namens Mala oaza, da habe ich mich erstmal niedergelassen, meine Mails gelesen (das Café hat selbstverständlich WLAN!), ein alkoholfreies Bier der Marke Jelen bestellt und der Bevölkerung gelauscht. Die Gespräche wurden großenteils auf Russinisch geführt, gut zu erkennen am Pänultima-Akzent, aber man hört auch öfter Serbisch, dieses wiederum zu erkennen an den langen Vokalen und dem musikalischen Akzent.

Die Erkundung der Ortschaft dauerte nicht lange. Es gibt zwar russinische Institutionen, aber diese sind nur mit kleinen Schildern gekennzeichnet, nur die Kirche ist imposanter, war aber auch geschlossen. So habe ich dann diverse Aushänge fotografiert, aber auch das Kriegerdenkmal, und mich auf die Suche nach einem Hotel gemacht. 


Über die Vorstellung, dass es in ihrem Ort ein Hotel geben könnte, waren leider alle Befragten entgeistert, so bin ich nach Kula zurückgefahren, dem nächsten größeren Ort. Aber auch dort war die Suche sehr schwierig, trotz meines glücklicherweise erstaunlich flüssigen Serbisch. Wie bekannt verfügt diese Sprache über besonders raffinierte Deiktika, ich musste aber den Pferdefuß dieses Reichtums kennenlernen… Irgendwann wollte ich aufgeben und fuhr schon in Richtung ungarische Grenze – und erblickte am Straßenrand ein beeindruckendes sozialistisches Motel. Und da bin ich jetzt abgestiegen, habe mich gerade auch länger mit einem Stuttgarter mit donauschwäbischen Wurzeln unterhalten, der die Gegend per Fahrrad erkundet hat, und freue mich auf eine ruhige Nacht. Morgen geht es noch einmal nach Ruski Kerestur und dann zurück nach Ungarn.

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