Vorbemerkung: Ich gebe ja zu, dass es etwas merkwürdig ist, Texte mit fast zwei Monaten Verspätung im Blog einzustellen. Andererseits wusste ich die ganze Zeit über ziemlich genau, was ich schreiben wollte, und es gab auch schon Textstücke und Bilder – daher spricht nichts dagegen, sie jetzt noch nachzuliefern!
Am 29. August bin ich von Police nad Metují nach Breslau gefahren, bei schönem Wetter und auf einer schönen Strecke, die von der Grenze über Kłodzko/Glatz hinüber nach Niederschlesien führt. In Bardo/Wartha wollte ich die Wallfahrtskirche besuchen, aber sie war (um kurz nach acht Uhr morgens) noch geschlossen, sodass ich das nur das Begräbnisunternehmen bewundern konnte, das auch Exhumierungen im Angebot hat (s. Bild). Das fanden sogar zwei junge Polen bemerkenswert, die ich am Ende der Woche als Tramper mitgenommen habe, als ich von Breslau nach Böhmen zurückfuhr.
Den nächsten Halt machte ich in Niemcza/Nimptsch, der angeblich ältesten Stadt Schlesiens, die schon 1017 belegt ist – in diesem Jahr wurde sie vergeblich vom deutschen Kaiser Heinrich II. belagert. Die Stadt war aber eher enttäuschend, neben einer neoromanischen Kirche habe ich nur einen kleinen Park mit Holzfiguren gefunden, die an die slavische Vorzeit erinnern sollen.
In Breslau selbst bin ich gegen 11 Uhr eingetroffen, stellte mein Auto in ein Parkhaus und machte mich auf die Suche nach einem Hotel. Erst war ich erstaunt, wie wenige Hotels es in der Innenstadt gibt, die außerdem auch noch alle sehr vornehm sind, dann fand ich aber doch recht schnell ein mir zusagendes Hotel mit dem sinnigen Namen „Lothus“. Es ist offenbar in asiatischer Hand, was vermutlich die richtige Antwort darauf ist, dass es vor dem Krieg das „Deutsche Haus“ war. Laut einem Plakat im Fenster soll das Hotel im neorumänischen Stil gebaut sein – eine schöne Vorstellung, auch wenn auch der architektonisch unerfahrene Betrachter schnell den neoromanischen Stil erkennt.
Nachdem ich mich im Hotel eingemietet hatte, habe ich einen ersten Spaziergang durch die Stadt gemacht und auf mich wirken lassen, wie vielschichtig ihre Geschichte ist. Nach der Vertreibung der Deutschen haben die Polen einiges versucht, um der Stadt eine slavische Geschichte zu „verpassen“. So findet man nicht nur Gedenktafeln, die an polnische Prominente aus der Zeit nach 1945 erinnern, sondern auch ältere Epochen werden in Anspruch genommen, auf unterschiedliche Weise. Sehr eindrucksvoll ist beispielsweise eine Galerie mit Büsten im Breslauer Rathaus, die bei den Piasten beginnt und bei zeitgenössischen Künstler/innen endet. Den größten Teil der Geehrten bilden jedoch jüdische Wissenschaftler, die zwischen 1850 und 1930 an der Breslauer Universität wirkten.
Genau genommen ist Breslau ja sogar eine slavische Gründung. Benannt wurde sie nach dem böhmischen Herzog Vratislav I., dem Vater des Hl. Wenzel, und deshalb hat die Stadt auch einen tschechischen Namen, der immer noch verwendet wird. Die damaligen Bewohner waren aber keine Tschechen, sondern Schlesier, und sprachen vermutlich polnische Dialekte. Im Laufe des Mittelalters wurde die Bevölkerung germanisiert, in der Stadt lebte aber immer eine kleine polnische Minderheit, die auch eine eigene Kirche hatte. So kann man z.B. auf einer Gedenktafel den polnischen Slavisten Władysław Nehring (1830–1909) finden, der ab 1867 Professor für Slavistik an der Universität Breslau war, und wenige Meter weiter seinen „Nachfolger“ Stanisław Rospond (1906–1982), der ab 1950 in Wrocław wirkte.
Eine weitere Schicht von Denkmälern sind solche, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Lemberg nach Breslau versetzt wurden. So kann man die berühmte Bibliothek Ossolineum heute in der Breslauer Universität besuchen, und ihres Gründers, des Grafen Józef Maksymilian Ossoliński (1748-1826) wird mit einer Gedenktafel gedacht, die man aus Lemberg mitgebracht hat. Wer weiß, ob er je in Breslau war. Noch bemerkenswerter ist freilich das Denkmal des Komödienautors Aleksander Fredro (1793-1876), das auf dem Marktplatz steht, aber wenigstens mit einer klärenden Unterschrift. Der hätte sich auch nicht träumen lassen, dass seiner mal im Königreich Preußen gedacht werden sollte.
Neueren Datums dürften Tafeln sein, die an Deutsche erinnern, die irgendwelche Verdienst erworben haben. Hier ist mir besonders die Gedenktafel für den Olympiasieger im Schwimmen von 1912, Walter Bathe, aufgefallen, die schamhaft verschweigt, dass er 1945 vertrieben wurde. Da muss man ja beinahe froh sein, dass die Tafel nur auf Polnisch und Englisch ist und nicht auf Deutsch.
Am Schluss noch eine kurze Bemerkung zu dem Ortsnamen Brassel, der in der Überschrift zu diesem Blogeintrag vorkommt und sicher manchen Leser und manche Leserin überrascht hat. Den habe ich selbst erst nach meiner Rückkehr kennengelernt und zwar in der deutschen Wikipedia. Es soll der schlesische Name der Stadt sein, in der Stadt selbst ist er mir freilich nie begegnet. Wer weiß, vielleicht wäre gerade diese Bezeichnung, die weder deutsch noch polnisch noch tschechisch ist, ein guter Kompromiss, den man aktiv propagieren sollte…