Am Dienstag habe ich es wirklich geschafft, Tübingen zu verlassen und in meinen Sommerurlaub aufzubrechen. Dieser wird leider etwas kürzer, weil ich wegen meiner Corona-Erkrankung nicht schon am 15. August aufbrechen konnte (wie ursprünglich geplant). Aber den Blog soll es trotzdem geben, die Nachfrage ist ja erstaunlich groß…
Der erste Programmpunkt der Reise war ein Besuch in Schwerin, bei meinem Neffen Martin, aber vor allem bei meiner Großnichte, die ich noch nie gesehen hatte. Über den Besuch werde ich hier nicht berichten, aber zumindest über die Reise. Diese wollte ich nicht in einem Stück absolvieren, sondern hatte ich mich entschlossen, einen Zwischenhalt in Quedlinburg einzulegen, wo ich noch nie war. Und so bin ich am Dienstag von Tübingen nach Quedlinburg gefahren, zügig und auf weitgehend freien Autobahnen.
Den ersten Halt habe ich spontan und ungeplant eingelegt. Und das kam so: Auf der Autobahn nach Norden sah ich, dass man bei der nächsten Ausfahrt nach Stadtlauringen ausfahren könnte – und bei diesem Ortsnamen bin ich hellhörig geworden. Denn in der Nähe von Stadtlauringen ist mein Vorfahre Georg Anton Schäffer (1800–1846) geboren, mit dem ich mich vor anderthalb Jahren mal ausführlicher beschäftigt habe. Über ihn wusste man bisher nicht sehr viel, er war der Vater meiner Ururgroßmutter Mathilde Schäffer und in der Familie vor allem bekannt durch ein Porträt, das jetzt im Besitz meiner Cousine Christiane ist. Weil er Berufssoldat war, habe ich in den achtziger Jahren mal im Bayrischen Kriegsarchiv seine Personalakte eingesehen – seit damals wussten wir, dass er in Birnfeld geboren ist, als Sohn eines Rentamtmanns. Außerdem habe ich erfahren, dass er nie an einem Feldzug teilgenommen hat – das fand und finde ich ziemlich beruhigend. Ja, und im März 2021 habe ich dann endlich ans Archiv des Bistums Würzburg geschrieben und einen Auszug aus dem Kirchenbuch erhalten, in dem der Geburtsort Birnfeld bestätigt wird.
Der Umweg über Birnfeld war gar nicht so kurz, aber ich bin doch nicht umgekehrt, sondern bin in den kleinen Ort gefahren, über dem eine schöne Kirche thront, vermutlich die, in der er auch getauft wurde. Irgendwo in der Nähe müsste auch das Kloster sein, in dem der Vater gearbeitet hat, aber das scheint jetzt ein Seniorenheim zu sein. Weil man das sicher nicht besichtigen kann, bin ich dann doch lieber zur Autobahn zurückgefahren.
Gegen 15:30 war ich in Quedlinburg, habe mich im Hotel einquartiert und habe dann die Stadt besichtigt. Ich bin zunächst in der Altstadt herumgelaufen, die sehr schön ist, aber auch sehr touristisch. Ich hatte fast den Eindruck, als seien in allen Häusern entweder Geschäfte oder Gaststätten, und die wirken großenteils so, als seien sie nur für Auswärtige bestimmt. Am Rande der Altstadt wurden es immer weniger Geschäfte, und in der Nähe des Schlossbergs war es ruhig und menschenleer.
Wie sich herausstellte, wird das Quedlinburger Schloss gerade renoviert, so konnte ich nur den Dom bzw. die Stiftskirche St. Servatius besuchen, aber auch das hat sich wirklich gelohnt. Beeindruckend ist sowohl der romanische Bau als solcher, dann die Krypta (mit Resten von Wandmalereien), in der Gründerin des Stifts, die Königin Mathilde, beigesetzt ist (sowie weitere Personen). Und dann gibt es natürlich auch noch den Domschatz, den bei Kriegsende ein amerikanischer Soldat mitgenommen hat und der seit 1993 wieder in der Kirche ist. Er besteht aus liturgischen Gewändern und Gefäßen, aber auch noch einigen anderen Stücken. Am beeindruckendsten fand ich den Kamm von Kaiser Heinrich I. (leider nicht authentisch, aber trotzdem schön) und das mit Goldtinte geschriebene Samuhel-Evangeliar.
Auf dem Rückweg in die Stadt war ich auch noch an der St.-Wiperti-Kirche, die aber leider schon geschlossen war. Sie stammt ebenfalls aus dem 10. Jahrhundert, hatte aber ein schwieriges Schicksal. Sie wurde zeitweise als Scheune genutzt und ist erst seit 1954 wieder Kirche, heute im Besitz der katholischen Gemeinde von Quedlinburg.
Am nächsten Morgen ging es dann weiter in Richtung Schwerin. Unterwegs habe ich einen kurzen Halt in Stendal gemacht, um dort den gotischen Dom zu besichtigen, mit schönen Glasfenstern und einer wunderschönen barocken Kanzel.
Und dann war ich etwas länger in Bad Wilsnack, einem Ort, den ich bei der Vorbereitung der Reise eher zufällig entdeckt habe. In Wilsnack (damals noch nicht Bad) gab es nämlich im Jahr 1384 ein Hostienwunder! Nach einem Brand wurden drei Hostien unversehrt, aber jeweils mit einem Blutstropfen versehen, aufgefunden. Bemerkenswert finde ich bei dieser Geschichte, dass sie keinen antisemitischen Kontext hat, auf Hostien konnte also auch Blut auftreten, ohne dass Juden beteiligt waren… – Sehr schnell begannen Wallfahrten in den Ort, es wurde eine riesige gotische Kirche gebaut und die Wallfahrt wurde in ganz Europa bekannt. Allerdings waren die Hostien von Anfang an umstritten. Zeitweise haben auch Vertreter der offiziellen Kirche an ihnen gezweifelt, und Jan Hus und Martin Luther sollen sich sehr negativ geäußert haben. 1552 war dann Schluss: Der neue evangelische Pfarrer verbrannte die Hostien einfach, und damit war der Grund für die Wallfahrt entfallen. Die „Wunderblutkirche“ steht immer noch, und selbst der Schrank, in dem die Hostien aufbewahrt wurden, ist noch da. Heute wird in der Kirche (die natürlich immer noch evangelisch ist) ausführlich über die Geschichte informiert, und sogar mit einer gewissen Sympathie. Und seit 1929 heißt die Stadt Bad Wilsnack und wirbt mit ihren Moorbädern, hat also einen Ersatz für die Wallfahrt gefunden.
Von Bad Wilsnack ging es dann nach Schwerin zum privaten Termin, über den ich hier nicht berichten will. Ich füge nur ein paar Bilder an, damit man mir glaubt, dass ich wirklich bei den Obodriten war.
Übernachtet habe ich nicht in Schwerin, sondern etwas weiter östlich in Crivitz, und von dort bin ich am nächsten Tag nach Polen weitergefahren. Einen Zwischenhalt habe ich nur noch in Güstrow eingelegt, weil ich unbedingt den Dom und den Schwebenden Engel von Barlach ansehen wollte. Den Dom fand ich etwas überladen, was wohl damit zusammenhängt, dass die Ausstattung weitgehend aus dem 16.–18. Jahrhundert stammt. Sehr beeindruckend fand ich die Epitaphien der Herzöge von Mecklenburg-Güstrow, die nämlich gleich den ganzen Stammbaum der Verstorbenen umfassten. So etwas habe ich noch nie gesehen. Aber das Beeindruckendste ist trotzdem der Barlachsche Engel, den ich zwar etwas suchen musste, weil er in einer Seitenkapelle hängt. Man versteht sehr gut, warum dieses Mahnmal an die Toten des Ersten Weltkriegs den Nazis ein solcher Dorn im Auge war, dass sie es 1937 entfernt und später zerstören ließen. Umso wichtiger ist, dass jetzt doch wieder ein Nachguss des Engels in der Kirche hängt und mahnt.
Ein sehr schöner Bericht zum Einstand und wunderbares Bildmaterial, dass die Schilderung plastisch vor dem Auge erstehen lässt. Herzlichen Dank! Möge Dein Urlaub ungestört verlaufen und viel Neues und Inspiratives für Dich bereithalten!