An diesem Tag habe ich Polen verlassen und bin quer durch die Slowakei ins nordöstliche Ungarn gefahren, zu meinem nächsten Ziel, der Stadt Sárospatak. Auch hier handelt es sich bis zu einem gewissen Grade um einen „Sehnsuchtsort“, und ich war schon öfter in dieser relativ kleinen Stadt mit einer langen Geschichte. Hier wurde 1207 die Hl. Elisabeth von Thüringen geboren, und ab 1616 war die hiesige Burg Sitz der Familie Rákoczi, die in der ungarischen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Besonders interessiert habe ich mich aber immer für das Reformierte Kollegium, das 1531 gegründet wurde (zunächst als Einrichtung der Lutheraner). Hier hat von 1650 bis 1654 Comenius gewirkt, und der Begründer der Tübinger Slavistik, Ludolf Müller, hat hier 1937/38 studiert. Außerdem haben natürlich fast alle ungarischen Geistesgrößen hier studiert (sofern sie reformiert waren) usw. Es gibt also viel zu entdecken, aber die Tatsache, dass ich nur ein klein wenig Ungarisch kann, erleichtert die Sache nicht unbedingt.
Zurück zum Bericht: Von Nowy Sącz kam ich schnell zum Grenzübergang Piwnicznia Zdrój und dann auf der slowakischen Seite nach Stará Ľubovna, wo ich schon oft gewesen bin, das erste Mal 1993. Der Versuchung, hier haltzumachen, konnte ich widerstehen, insbesondere weil das Wichtigste in Stará Ľubovna die Burg ist, die man nicht in ein paar Minuten besichtigen kann. Ich fuhr also weiter gegen Süden und kam durch einen kleinen Ort namens Plaveč, der in mir sofort Erinnerungen wachrief, denen ich dann doch nachgeben musste. 1993 war ich nämlich noch mit Zug und Bahn in der Slowakei unterwegs und bin Stará Ľubovna falsch umgestiegen, mit dem Effekt, dass ich kurz darauf allein auf dem Bahnhof von Plaveč stand, wo der Zug nämlich endete… Damals bin ich hilflos in dem Ort umhergegangen, wo es nicht einmal eine Gaststätte gab (aber immerhin einen Laden). Und zur Burg hinaufzugehen, habe ich mich nicht getraut, weil ich ja den nächsten Zug in der Gegenrichtung erwischen wollte. Diesmal bin ich mit dem Auto in die Nähe der Burg gefahren und bin wieder ziellos (aber nicht hilfslos) im Ort umhergegangen, wo es mir diesmal nicht einmal gelungen ist, den Bahnhof zu finden…
Dann fuhr ich weiter nach Süden, in Richtung der Autobahn, die nach Košice führt. Auf die Autobahn konnte ich aber nicht gleich fahren, denn ich hatte noch keine Autobahnvignette. Die habe ich mir an einer Tankstelle gekauft, wo die Dame dann die Daten über mein Auto irgendwo eingab – die Vignette bekommt man nicht zu sehen, weil sie digital ist. Ich hatte hier ein nettes Erlebnis: Wie immer, wenn ich in der Slowakei bin, sprach ich Tschechisch und fragte die Dame: „Verkaufen Sie Vignetten?“, worauf sie spitz erwiderte: „Ja, aber nur slowakische“. Offengestanden würde ich nie auf die Idee kommen, mir in der Slowakei eine tschechische Vignette zu kaufen. Aber wenn man die falsche Sprache spricht, setzt man sich offenbar diesem Verdacht aus.
Auf der Autobahn kam ich zügig voran, habe an einer Ratstätte kurz zu Mittag gegessen und war dann gegen 15 Uhr an der ungarischen Grenze, die ich ohne Kontrolle überqueren konnte. Wenn man bedenkt, dass Slowaken und Ungarn nicht gerade große Freunde sind, ist es schon bemerkenswert, dass man an der Grenze zwischen den beiden Ländern nicht einmal Zollhäuschen gibt (jedenfalls nicht hier). Ja, und gegen 16 Uhr war ich dann in Sárospatak und habe die Pension aufgesucht, in der ich drei Tage übernachten wollte.
Die Rezeptionistin sprach zwar keine Fremdsprache, aber wir konnten uns einigermaßen verständigen. Vor allem hatte sie auf ihrem Handy ein Programm installiert, das mündliche Äußerungen von ihr in geschriebenen Text verwandelte. Ich habe trotzdem versucht, zumindest ein bisschen Ungarisch zu sprechen.
Nachdem ich mich eingerichtet hatte, ging ich in die Stadt und kam als erstes zur Kirche der Hl. Elisabeth (die ganz nah bei der Pension liegt). Außer dem besonderen Ort gibt es hier aber nicht viel zu besichtigen, die Kirche selbst ist oft umgebaut worden und hat eine moderne Ausstattung. In einem Haus neben der Kirche gibt es aber eine Ausstellung, die ich dieses Mal verschmäht habe, weil ich sie als ziemlich langatmig in Erinnerung habe.
Dann machte ich mich auf den Weg zum Reformierten Kollegium, bzw. genauer gesagt zu dessen Park. Dieser Park heißt „Schulgarten“ (iskolakert), und er ist voller Statuen von ungarischen Geistesgrößen, die man als armer Ausländer gar nicht kennt, außer vielleicht Lájos Kossuth (1802–1894), dem Anführer des ungarischen Aufstands von 1848. Die einzige Frau, derer gedacht wird, ist Zsuzsanna Lorántffy (1600–1660), die Frau von Georg I. Rákoczi und Fördererin des Kollegiums. Einen Moment lang überlegte ich, ob hier wohl auch Comenius steht, aber ich habe keine Statue gefunden.
Dann habe ich einen langen Spaziergang gemacht, in Richtung des Stadtrandes und wieder zurück zum Reformierten Friedhof, den ich zufällig auf dem Stadtplan gefunden habe. Hier habe ich ein bisschen das Lesen ungarischer Texte geübt – das ging erstaunlich gut, vermutlich wegen der eingeschränkten Lexik. Dann ich bin zur Pension zurück und ein Stückchen auf die andere Flussseite gegangen (die Pension liegt nahe der Brücke über den Bodrog), dann kurz zum Schloss und schließlich noch einmal zurück zum Kollegium. Ein tschechischer Kollege hatte nämlich auf Facebook gefragt, ob ich schon Comenius meine Aufwartung gemacht hätte, und deshalb wollte ich noch einmal nach der Statue suchen. Diesmal lief ich zwischen den Gebäuden des Kollegiums herum, wo auch gelegentlich Statuen oder Büsten stehen, aber wieder völlig ohne Comenius.
Den Abend habe ich in einer Gaststätte ausklingen lassen, wo ich panierten Trappistenkäse und Trappistenbier genossen habe. Wie die nach Sárospatak kommen, konnte ich nicht klären, ist aber letztlich nicht so wichtig.