Der 25. August war ein Sonntag und deshalb wollte ich morgens zu einem evangelischen Gottesdienst gehen. Der Gottesdienst sollte um 10 Uhr beginnen und ich war sogar etwas zu früh an der Kirche, die noch geschlossen war. Zuerst wunderte ich mich nur ein bisschen, aber als fünf Minuten vor Beginn immer noch niemand da war, wurde ich unruhig. Kurze Zeit später kam ein seriös gekleidetes Ehepaar zur Kirche, warf einen kurzen Blick auf den Eingang und verschwand – bevor ich sie ansprechen konnte – in einem nahe gelegenen Wohnhaus. Beim nächsten Paar, das kurz darauf auftauchte, war ich schneller, lief ihnen nach und erfuhr, dass die Kirche renoviert wird und die Gottesdienste im Pfarrhaus stattfinden. Ich folgte ihnen in den ersten Stock, wo schon alles vorbereitet war und etwa fünfzehn Leute saßen, darunter auch einige Kinder. Im hinteren Teil des Raumes standen zwei Kameras und ein Filmteam war am Werk, der Gottesdienst wurde anscheinend live ins Internet übertragen.
Vom Gottesdienst selbst gibt es nicht viel zu berichten, außer vielleicht, dass der Pfarrer am Ende sagte, dass die Renovierung der Kirche voranschreite und man das neue Kirchenjahr wieder in der eigenen Kirche feiern könne. Mit anderen Worten: Die Arbeiten dauern noch bis Ende November…
Nach dem Gottesdienst habe ich mir die Stadt angeschaut, allerdings nur von außen. Denn es war von vornherein klar, dass ich keine der katholischen Kirchen besichtigen konnte. In allen war anscheinend den ganzen Tag Gottesdienst. So ging ich zunächst zur Synagoge in Nowy Sącz, die nicht weit von der evangelischen Kirche entfernt ist, und schaute sie mir von allen Seiten an. Die 1746 erbaute Synagoge hat den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden und wurde nach 1945 zunächst als Magazin und später als Galerie genutzt. Laut Internet ist sie seit 2017 wieder eine Synagoge und wird von den in der Stadt lebenden chassidischen Juden genutzt. Der Synagoge sieht man das nicht an, und irgendwo hängt sogar noch ein Schild der Galerie…
In der Nähe der Synagoge befand sich im Zweiten Weltkrieg das von den deutschen Besatzern eingerichtete jüdische Ghetto, in dessen Zentrum sich heute eine Gedenkstätte befindet. Es gibt hier eine Wand, auf der in kleiner Schrift die Namen von 25.000 getöteten Jüdinnen und Juden aufgeführt werden, ferner eine grö0ere Anzahl von Informationstafeln. Diese habe ich erst später gelesen, als ich vom jüdischen Friedhof zurückkam, will sie aber schon hier erwähnen.
Vom Ghetto-Denkmal ging ich weiter in Richtung des Flusses Dunajec. Kurz vor der Brücke befindet sich die Ruine des ehemaligen Schlosses, das im Januar 1945 von Partisanen gesprengt und nicht wieder aufgebaut wurde. Heute befindet sich dort ein Park, in dem gerade Tische für ein kleines Fest aufgebaut werden. Ich ignorierte das und ging über die Brücke zum jüdischen Friedhof. Ich war schon 2016 dort und kam damals nur mit Mühe hinein (man musste eine Dame finden, die den Schlüssel hatte), also dachte ich nicht, dass ich es dieses Mal wieder schaffen würde. Ich hatte auch ein merkwürdiges Problem, die genaue Lage des Friedhofs zu finden, denn er ist nicht auf Google Maps verzeichnet – was eigentlich nicht sein kann. Alle anderen Friedhöfe, die ich sonst gesucht hatte, waren dort eingezeichnet. Erst nach langem Suchen habe ich auf der Karte einen Eintrag in hebräischer Schrift gefunden. Ich vermute, dass die in Nowy Sącz ansässigen Chassidim dies veranlasst haben, für die dieser Friedhof besonders heilig ist, weil dort Rabbi Chaim Halberstam (1793-1876) begraben liegt, der Begründer der gleichnamigen Rabbinerdynastie.
Als ich zum Friedhof kam, war er wider Erwarten offen und ich ging sofort hinein. Allerdings hatte ich keine Mütze dabei und konnte meinen Kopf zunächst nicht bedecken. Da mir dieser Brauch aber wichtig ist, habe ich dann ein Taschentuch als provisorische Kopfbedeckung benutzt, obwohl ich damit eher wie ein Palästinenser aussah… Schon nach wenigen Schritten sah ich weiter hinten auf dem Friedhof eine Gruppe orthodoxer Juden und ging in ihre Richtung. Sie waren, wie ich bald herausfand, auf dem Weg zum Grab von Rabbi Chaim Halberstam. Etwa auf halbem Weg kam mir eine ältere Dame entgegen, die Friedhofsverwalterin (die mich damals auch geführt hatte). Sie freute sich, dass ich meinen Kopf bedeckt hatte (die Form schien sie nicht zu stören) und ermutigte mich, weiter zu gehen. Als ich am Grab oder genauer gesagt am Ohel ankam, bemerkte ich, dass die Chassidim im Gebäude waren, und ich ging nicht hinein, weil ich sie nicht stören wollte. Ich bin ein bisschen über den Friedhof gelaufen und habe ihn dann wieder verlassen. Aus einiger Entfernung habe ich auch eine Gruppe von Chassidim fotografiert, die etwas später vom Ohel zum Ausgang zurückkamen.
Inzwischen war es ziemlich heiß geworden. Ich habe im Ratskeller zu Mittag gegessen und bin dann ins Hotel zurückgegangen, um mich etwas auszuruhen. Danach habe ich noch das Bauernhausmuseum besucht, obwohl ich da schon mal war und mit dem Auto hinfahren musste (das ich eigentlich stehen lassen wollte). Aber der Fußweg war mir zu weit (zu Fuß wären es 3,2 km gewesen). Eigentlich sollte man dann öffentliche Verkehrsmittel benutzen, aber bei den Temperaturen war ich nicht in der Lage, mich in das Nahverkehrssystem von Nowy Sącz einzuarbeiten.
Im Museum, das offiziell „Ethnografischer Park“ (Sądecki Park Etnograficzny) heißt, wurde ich sofort als Ausländer entlarvt, weil ich nicht wusste, dass man sonntags keinen Eintritt bezahlen muss. Zur Strafe bekam ich eine englischsprachige Karte (statt einer polnischen). Ich besuchte nur einen kleinen Teil des Parks, der groß und sehr interessant ist, eigentlich bin ich nur einmal durch den Park gelaufen, bis zum sogenannten galizischen Städtchen, wo an die ehemaligen deutschen Kolonisten erinnert wird. In der Nähe (aber außerhalb des Parks) war auch ein Restaurant, wo ich zwei Limonaden getrunken habe. Dann bin ich zurück ins Hotel.
Abends wollte ich nicht wieder ins Hotelrestaurant gehen und habe lange mit Google Maps nach einem geeigneten Restaurant gesucht. Es gibt sowieso nicht so viele Restaurants, außerdem war ich am Stadtrand. Schließlich habe ich mich für eine Pizzeria entschieden, zu der ich eine Viertelstunde gelaufen bin. Als ich dort ankam, war ich allerdings ziemlich erschrocken, denn statt der Pizzeria befand sich dort das „Steakhouse Safir“. Zum Glück bin ich nicht gleich gegangen, sondern habe mir die Speisekarte angesehen. Und siehe da, das vermeintliche Steakhouse entpuppte sich als Spezialist für „mediterrane Küche“, was eigentlich arabische Küche bedeutete. Es gab auch Pizza, Burger und natürlich Steaks, aber unter einem Steakhouse hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Ich vermute fast, dass das Restaurant seinen Namen schon öfter geändert hat… Jedenfalls bestellte ich Tabbouleh, das sehr gut schmeckte, und ging zufrieden ins Bett.