8. August 2015: Ein Tag in Nowy Sącz

Der gestrige Morgen begann mit einem merkwürdigen Problem im Hotel. Und zwar hatte ich meiner Erinnerung nach vorgestern Abend ein Zimmer für drei Nächte genommen und bezahlt. Auf der

Papst vor Rathaus

Rechnung stand aber nur eine Nacht, und ich hatte das nicht gemerkt, weil ich mit der Karte bezahlt habe. Etwas beunruhigt ging ich an die Rezeption und erfuhr, dass das daran liegt, dass sie für die Nacht von Samstag auf Sonntag andere Preise hätten. Ich habe dann also die nächste Nacht bezahlt und bezahle nachher nach dem Frühstück die dritte, alles getrennt. Jetzt wüsste man natürlich gerne, ob die Nacht am Wochenende billiger oder teurer ist. Aber sinnigerweise steht auf beiden Abrechnungen derselbe Betrag…

Basilika der Hl. Małgorzata

Nach dem Frühstück habe ich begonnen, die Stadt zu besichtigen. Zunächst war ich auf dem Hauptplatz mit dem imposanten Rathaus (in der heutigen Form vom Ende des 19. Jahrhunderts) und dem Denkmal für den heiligen Papst, dann in der ältesten Kirche der Stadt, die allerdings im Laufe der Jahrhunderte so oft umgebaut wurde, dass ich Schwierigkeiten habe, sie noch als gotisch wahrzunehmen. Hier wie auch in anderen Kirchen war das  deutlich dadurch erschwert, dass überall jemand betet, Gottesdienste anfangen, Gottesdienste aufhören usw. Da habe ich dann doch Hemmungen, herumzulaufen.

Chassidische Synagoge

Einfacher war die Besichtigung der kleinen chassidischen Synagoge – von außen. Sie sieht unscheinbar aus und steht in einem Hinterhof, ist aber im Prinzip in Betrieb, und zwar offenbar dann, wenn chassidische Touristen in die Stadt kommen. Nach den Bildern in der polnischen Wikipedia zu schließen hat sie eine bedeutende Inneneinrichtung, wo man sich fast fragt, wie die in das kleine Gebäude passt…

Als nächstes war ich dann auf einem Markt, wo

Markt

sinnigerweise fast nur Früchte und Schuhe verkauft wurden (vgl. auch das Bild), und dann habe ich mich spontan entschlossen, einen Friseur aufzusuchen und meine Haare deutlich kürzen zu lassen. Das war ein bemerkenswertes landeskundesliches Erlebnis. Die Friseuse sprach so schnell und undeutlich, dass die Verständigung schwierig war, und im Endeffekt habe ich jetzt viel kürzere Haare als sonst, was bei dieser Jahreszeit vielleicht gar nicht so schlecht ist.

Nach Friseurbesuch

Noch interessanter war, dass sie grundsätzlich nur in der 1. Person Plural sprach (jak wycinamy? wie schneiden wir?). Ich weiß noch nicht, ob das jetzt ein Pluralis maiestatis sein soll oder das sog. Doktor-Wir (wie geht es uns heute?). Weitere Forschungen sind dringend nötig, aber der nächste Selbstversuch ist erst möglich, wenn ich wieder längere Haare habe. Und das wird einige Zeit dauern.

Schon am Vorabend hatte ich zufällig ein Plakat gesehen, auf dem zur Eröffnung des „Hauses der Geschichte“ der Stadt Nowy Sącz eingeladen wurde, die um 18 Uhr in der evangelischen Kirche stattfinden sollte. Dort wollte ich natürlich hin und habe erst

Synagoge

einmal geklärt, wo die evangelische Kirche ist. Wie sich zeigte, liegt sie ganz nahe beim Hotel und in nächster Nähe zur früheren Hauptsynagoge und zum Schloss. Die Hauptsynagoge ist heute Kunstgalerie, aber immer noch imposant, das Schloss eine jämmerliche Ruine. Es war im Laufe der Jahrhunderte ziemlich heruntergekommen und in schlechtem Zustand, und eine Sprengung durch die deutschen Truppen 1945 hat dann das Übrige getan. In der Nähe liegt auch der jüdische Friedhof, aber den wollte ich nun doch nicht am Sabbat besuchen. Ich hoffe, ich finde heute oder morgen früh jemanden, der ihn mir aufschließt. Vor dem Schloss lagerten größere Mengen von Menschen im Gras, ein etwas ungewohnter Anblick, vor allem, weil alle Generationen vertreten waren, niemand Alkohol trank, nicht gesungen wurde usw. Es scheint sich also eher um eine spontane Zusammenrottung von Unbekannten gehandelt zu haben.

Schloss
Besucher am Schloss

Nach einem vorzüglichen vegetarischen Mittagessen am Hauptplatz habe ich mich erst hingelegt und dann in einem gemütlichen Café Klausuren korrigiert. Man glaubt ja kaum, wie viel besser man bestimmte Fehler aushält, wenn man sie in einer ruhigen Atmosphäre zur Kenntnis nimmt. Und um 18 Uhr bin ich dann zur evangelischen Kirche aufgebrochen, voller Spannung, was mich dort erwartet.

Plakat der Veranstaltung

Auf dem Plakat standen drei Programmpunkte, nämlich erstens alte Musik, gespielt von der Gruppe „Floripari“, dann eine Lesung aus Texten des Renaissancedichters Jan Kochanowski, realisiert durch den Schauspieler Jan Korwin-Kochanowski, und „Mit Sącz durch die Jahrhunderte“, gespielt vom „Teatr Nomina Rosae“. Das klang schon ziemlich gut, obwohl Jan Korwin-Kochanowski vermutlich doch kein direkter Nachfahre von Jan Kochanowski ist, und trotz des fragwürdigen lateinischen Namens des Theaters. Gesamtveranstalter war die Stiftung „Fundacja Nomina Rosae“ (für das Latein gilt hier das gleiche). Die Kirche war gut gefüllt, offenkundig vor allem mit Bildungsbürgertum, etwas störend waren die vielen Fotografen, wobei auch Besucherinnen und Besucher ständig knipsten.

Wie sich schnell zeigte, folgten die drei Teile nicht etwa aufeinander, sondern sie waren ineinander verwoben. D.h. es gab immer wieder Musik, dann entweder eine Lesung aus Kochanowski oder den Auftritt einer Schauspielerin oder eines Schauspielers, dann wieder Musik. Und das Programm begann mit der Gründung von Nowy Sącz 1292 und zog sich durch die Jahrhunderte. Ich stellte mir sofort die Fragen, ob wohl auch die Juden, die Deutschen und die Protestanten vorkommen würden, und war sehr gespannt auf die Behandlung des 20. Jahrhunderts. Die Juden kamen tatsächlich vor, und zwar anlässlich ihrer Ansiedlung im Jahr 1655 (nach der Abwehr der Schweden war die Stadt entvölkert und man brauchte dringend neue Bürger), die Deutschen kamen nicht vor (was vielleicht auch besser ist…), die Protestanten auch nicht, was in einer evangelischen Kirche nun doch merkwürdig anmutete. Ja, und das 20. Jahrhundert wurde so bewältigt, dass das Programm mit der Wiederentstehung des freien Polens im Jahr 1918 und einer Huldigung an Piłsudski endete. Die Musik war sehr schön, die Schauspieler waren gut, wenn auch manchmal etwas laut, außerdem waren es nur zwei, die dann in immer neuen Rollen auftreten und immer neuen Herrn huldigen musste (Wenzel II., Kasimir der Große, Jan Sobiecki, Franz Joseph I., Piłsudski). Jan Korwin-Kochanowski war schwer zu verstehen, ich fand, dass er undeutlich sprach, aber natürlich mag es auch z.T. an den Texten vom Ende des 16. Jahrhunderts gelegen haben.

Am Ende der Veranstaltung wurde der Stadtpräsident begrüßt, der die Ausstellung eröffnen sollte. Der meldete sich erst nach mehrmaliger Aufforderung, es war ein älterer Herr in lockerer Kleidung

Modeschau

(rotkariertes Hemd), der offenbar nicht ahnte, was ihn dort erwartet. Er hat eine kurze Rede gehalten und blieb dann auch bei den weiteren Teilen dabei. Wie ich nachgeschaut habe, ist er von der Kaczyński-Partei PiS, aber offenbar an Kultur interessiert. Die Ausstellung war relativ klein, aber immerhin mit einer Zeittafel, auf der auch die Protestanten vorkommen, sie besteht aber im
Wesentlichen aus Mode vom 15.-20. Jahrhundert. Und beim Empfang im Garten, zu dem ich auch gegangen bin, gab es zum Abschluss eine Modeschau, bei der junge Mädchen die Mode vorführten, mit allen Schikanen, vorgestellt von der Hauptorganisatorin, die auch zu der Theatergruppe zu gehören scheint. Ich bin dann nicht ganz bis zum Ende geblieben.

2 Kommentare

  • Vielen Dank auch für diesen Bericht. Ich habe die Siesta an unserem Institut genützt, um mit Deinen Blogeinträgen wieder auf gleich zu kommen. Sich die Haare kurz schneiden zu lassen, war sehr vernünftig. Vor unserer Böhmenfahrt habe ich das auch getan, es ist ja in der Nacht hier auch so heiß, da musste ich einfach Hand an mich legen, und so habe ich alles auf 1 Zentimeter runtergekürzt.

  • Du schneidest Deine Haare selbst? Das würde ich mich nie trauen, weil es vermutlich in einer Selbstverstümmelung enden würde…

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