9. August 2020: Passau – Aigen am Inn – Ortenburg

Leider bin ich nach dem schwungvollen Anfang vom letzten Wochenende nicht so schnell wieder zum Schreiben gekommen. Denn von Montagabend bis Donnerstagabend war ich dann mit meiner Mutter, meiner Schwester und ihren beiden Töchtern in Passau unterwegs, aber über diese private Reise will ich eigentlich nicht bloggen. Allerdings hat sich ergeben, dass wir am Mittwoch zusammen an Orten gewesen sind, wo ich schon am Sonntag allein war, und dort mehr gesehen haben, als ich allein gefunden hatte. So werde ich im Folgenden nur über einen Teil meiner Ausflüge vom Sonntag berichten und später einen weiteren Bericht anschließen.

Ziel meiner Besuche am Sonntag waren Orte, die in einem Zusammenhang mit meinen Vorfahren stehen, und zwar sowohl mit denen mütterlicherseits wie auch mit denen väterlicherseits. Mit der Stadt Passau und ihrer Umgebung bin ich nämlich in zweierlei Hinsicht verbunden. Ich bin in Passau geboren, weil das die Heimatstadt meiner Mutter ist, deren Eltern dort seit Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts lebten, bis zum Wegzug meiner Großmutter nach München (ca. 1960). In Passau wurden meine Eltern getraut und ich bin dort in der evangelischen Matthäuskirche getauft worden. Aber auch die Familie meines Großvaters väterlicherseits stammte aus dieser Region, konkret aus der Gegend um Aigen am Inn, wo der erste Berger 1652 belegt ist. Den von ihnen bewirtschafteten Hof haben sie allerdings zu Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegeben, und mein Urgroßvater war schon vorher weggegangen, um als Förster in Haar bei München zu arbeiten.

Am Sonntag bin ich als erstes in den evangelischen Gottesdienst in der Matthäuskirche gegangen. Der Gottesdienst war sehr schön, mit viel Musik und Singen, man musste nur immer beim Singen die Maske aufsetzen (und konnte sie sonst herunternehmen). Nach dem Gottesdienst betrachtete ich erst andächtig den Taufstein und ging dann zum „Kirchcafé“, weil ich in Erfahrung bringen wollte, ob die Kirche auch tagsüber geöffnet ist (das ist der Fall und ich war am Dienstag mit meiner Familie dort). Ich unterhielt mich auch länger mit einigen Leuten von der Gemeinde, denen ich erzählte, dass meine Mutter in den dreißiger Jahren in die evangelische Volksschule gegangen ist und dass meine Großmutter lange Jahre Vorsitzende des evangelischen Frauenvereins war – beide Institutionen waren meinen Gesprächspartner_innen unbekannt. Das ist aber nach weiteren Informationen von meiner Mutter gar nicht so verwunderlich… Denn die evangelische Volksschule hatte gar keine eigenen Räumlichkeiten, sondern befand sich in denen der allgemeinen Volksschule. Und der evangelische Frauenverein war in den dreißiger vierziger Jahren nur deshalb relevant, weil der damalige Pfarrer unverheiratet war und die Vorsitzende des evangelischen Frauenvereins einen Teil der Aufgaben der Pfarrfrau übernommen hat.

Am späteren Vormittag bin ich dann nach Aigen am Inn gefahren, das etwa 30 km von Passau entfernt ist. Aigen selbst und die Dörfer in der Nähe sind heute alle Teil von Bad Füssing, das macht die Orientierung etwas schwieriger. Aber letztlich bin ich gut nach Aigen gekommen, einem etwas größeren Dorf (1360 Einwohner_innen) mit zwei Kirchen. Und beide Kirchen haben eine Beziehung zu meiner Familie. In der Pfarrkirche St. Stephan wurden mehrere Generationen meiner Vorfahren getauft und getraut, und viele von ihnen sind auf dem Friedhof um die Kirche begraben. Und auch die Wallfahrtskirche St. Leonhardt spielt in unserer Familientradition eine wichtige Rolle.

Zunächst war ich in der Pfarrkirche, die in ihrer heutigen Form aus dem 15. Jahrhundert stammt. Zum Teil ist die alte Ausstattung erhalten, besonders beeindruckend fand ich eine Kruzifixgruppe mit Jesus und den Schächern auf der Empore. Und auf dem Friedhof habe ich zwei Gräber von Familien mit dem Namen Berger gefunden, der Bezug zu meiner Verwandtschaft ist unklar. Da die Familie bald nach 1900 die Gegend verlassen hat, dürfte es sich um entfernte Verwandte handeln.

Anschließend war ich in einer der örtlichen Gaststätten essen (und etwas verstört über die Speisekarte, auf der es nur ein vegetarisches Gericht gab). Danach ging ich zur Wallfahrtskirche, die schon seit dem 12. Jahrhundert belegt ist, aber in der heutigen Form auch aus der Zeit um 1500 stammt. Seit dem 12. Jahrhundert ist auch die Leonardiwallfahrt mit Leonardiritt belegt, die bis heute durchgeführt wird, es soll die älteste Leonardiwallfahrt in Niederbayern sein. Auch diese Kirche hat eine schöne Ausstattung, ich habe nur den St.-Leonhards-Altar fotografiert, außerdem eine Auswahl von Votivbildern.

Eine Besonderheit der St.-Leonhard-Kirche sind die sog. Würdinger, fünf schwere Metallklötze, die wahrscheinlich als Votivgaben in die Kirche gekommen sind. Bei der Leonardiwallfahrt gab es einen festen Programmpunkt, wo sich die Bauernburschen aus der Umgebung bemühten, die Würdinger in die Höhe zu heben. Dabei soll sich insbesondere mein Urgroßvater Peter Berger (1859–1938) ausgezeichnet haben, der den schwersten Klotz sogar um die Kirche getragen haben soll. – Das schöne Foto verdanke ich meiner Nichte Arezu, ich war leider selbst nicht in der Lage, eine vernünftige Fotografie zu produzieren.

Das Leonardi-Museum war leider geschlossen (wegen Corona), aber beim Herumlaufen entdeckte ich das Kriegerdenkmal, das auch sehr interessant ist. Dort kann man nämlich unter den Toten des Ersten Weltkriegs zwei Berger finden (Georg Berger gefallen 1917, Johann Berger vermisst), unter denen des Zweiten Weltkriegs aber keine. Das steht im Einklang damit, dass die Familie inzwischen die Gegend verlassen hatte.

Anschließend an den Besuch in Aigen wollte ich noch in Irching den Schuhbauernhof besuchen, auf dem die Bergers ab 1774 gewirtschaftet haben und den sie kurz nach 1900 verlassen mussten (Details unbekannt). Dort war ich zwar schon mehrfach, konnte aber diesmal den Hof nicht finden – und war auch ziemlich erstaunt darüber, dass das Dorf ein Straßendorf ist, das hatte ich so nicht in Erinnerung. Den richtigen Hof haben wir dann aber am Mittwoch unter Führung meiner Schwester identifizieren können (hierzu später).

Zum Ausklang bin ich dann noch nach Ortenburg gefahren, in die „Hauptstadt“ der Grafschaft Ortenburg, die vom 16.–19. Jahrhundert eine evangelische Enklave im Bistum Passau bildete. Dort gibt es bis heute eine aktive evangelische Gemeinde mit Kirche. Diese Kirche ist klein, enthält aber beeindruckende Grabdenkmäler wie das des Grafen Joachim von Ortenburg (1530–1600), der die Reformation in dieser Gegend durchgesetzt hat.

1 Kommentar

  • Vielen Dank, wirklich sehr beeindruckend! Das Taufbecken, wo Deine Taufe stattfand, hat mir natürlich besonders gut gefallen. Aber ganz und gar erstaunlich ist der Umstand, dass dein Urgroßvater den schwersten Würdinger um die Kirche getragen haben soll. Wie ist denn das bloß möglich? Die Dinger sehe ja so aus als könnte man sie gar nicht wirklich heben.

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