Der 18. August war ein Sonntag, und daher habe ich am Morgen als erstes den evangelischen Gottesdienst in der Liebfrauenkirche aufgesucht, der um 9:30 stattfand. Diese Kirche durften die Protestanten, wie schon erwähnt, nach 1945 behalten, wobei auffällig ist, dass sie in diesem Fall eine der großen und gleichzeitig die älteste Kirche behalten durften. So etwas kam nur selten vor, und es wäre interessant, sich mit den Gründen für diese Entscheidung zu beschäftigen.
Der Gottesdienst war nicht gut besucht, insgesamt waren nur etwa zehn Personen da, darunter auch zwei Kinder – und das waren anscheinend die Kinder des Pfarrers. Während des Gottesdienstes kamen mehrfach Touristen herein, lauschten eine gewisse Zeit und gingen wieder. Und bei einer fast leeren Kirche fällt so etwas mehr auf als sonst. Bei den Mitteilungen, die der Pfarrer selbst verlas, wurde dann auch noch darauf hingewiesen, dass die Kirchengemeinde von Liegnitz ab dem Herbst mit der von Glogau/Głogów zusammengelegt wird. Diese Stadt liegt ca. 50 km entfernt, woraus man ersehen kann, wie gering die Anzahl der Protestanten in dieser Gegend heute ist, einer Gegend, die ab dem 16. Jahrhundert zu den Hochburgen des Luthertums zählte.
Die Kirche wurde zwar in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erbaut, aber im Laufe der Jahres sehr häufig renoviert, zuletzt zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit stammt die Bemalung der Säulen „im mauretanischen Stil“ (gemeint ist natürlich „maurisch“). Archaisch wirkt dagegen der Hochaltar, der sich wirklich in der Höhe befindet, man geht ca. 20 Stufen hinauf zum Altar. Der Pfarrer hat auch von dort aus gesprochen, was nur zu verstehen war, weil er ein Mikrofon hatte. Ich frage mich ernsthaft, wie das in früheren Zeit funktioniert hat, als es noch keine Mikrofone gab…
Nach dem Gottesdienst bin ich noch einmal in der Stadt herumgelaufen, habe aber nur kurz das Schloss aus der Ferne in Augenschein genommen und bin dann zu der Unterkunft zurück, um einen kleinen Ausflug mit dem Auto zu machen. Die erste Station sollte Wahlstatt/Legnickie Pole sein, wo 1241 die Schlacht bei Liegnitz stattfand, in der der schlesische Herzog Heinrich der Fromme und seine Verbündeten aus Polen und dem Römischen Reich von den Mongolen vernichtend geschlagen wurden. Es gibt dort ein Museum, das ich um das Jahr 2000 herum mal besucht habe, das bei einem späteren Aufenthalt in dieser Gegend wegen Renovierung geschlossen war. Diesmal war es leider wieder geschlossen, einfach so und ohne große Begründung – am Tor hing ein Zettel, das Museum arbeite vom 15.–20. August nicht. Und leider galt das Gleiche auch für die prachtvolle barocke Klosterkirche, deren Besuch offenbar an das Museum geknüpft ist.
Eine nette Kleinigkeit will ich noch berichten. Und zwar hatte ich ein Halteverbotsschild fotografiert, unter dem ein Wegweiser auf das boisko hinwies. Das fand ich ziemlich lustig, weil ich dachte, dass boisko ‚Schlachtfeld‘ heißt. Aber als dann der Weg aus dem Ort hinausführte, habe ich doch lieber nachgeschaut, und sieh da, boisko heißt ‚Sportplatz‘. Zu meiner Rechtfertigung will ich aber doch erwähnen, dass das Schlachtfeld auf Tschechisch bojiště heißt, da wäre die Variante boisko durchaus denkbar.
Da es in Wahlstatt außer dem Museum und der Kirche nichts zu sehen gibt, bin ich dann weitergefahren, und zwar nach Trebnitz/Trzebnica. Hier wurde 1202 das erste Frauenkloster in Schlesien gegründet, und zwar vom Herzog Heinrich dem Bärtigen (1165–1238) und seiner Frau Hedwig von Andechs (1174–1234), den Eltern von Heinrich dem Frommen. Beide sind in der Klosterkirche beigesetzt, und Hedwig ist sogar eine Heilige, sie wurde wegen ihrer vielen Verdienste schon vier Jahre nach ihrem Tod heiliggesprochen. Sie stammte übrigens aus besten Kreisen, zwei ihrer Schwestern waren Königinnen (von Ungarn und von Frankreich), zwei Brüder waren Bischöfe (von Bamberg und Aquileia), und eine ihrer Nichten war die Hl. Elisabeth von Thüringen, die bekanntlich eine ungarische Prinzessin war.
Zurück zu Kloster und Kirche: Vom Kloster habe ich nicht viel gesehen, weil die Gebäude heute auch anderen Zwecken dienen, die Kirche ist sehr schön und reich ausgestattet. Am imponierendsten fand ich das Hochgrab der Hl. Hedwig, das viel prächtiger ist als das ihres Mannes.
Im Klostercafé habe ich einen Kuchen gegessen und einen kalten Kaffee getrunken – dieses Getränk wurde eigens annonciert und ich wollte es unbedingt probieren. Etwas unerwartet entpuppte sich der kalte Kaffee allerdings als Kaffee, der mit kaltem Orangensaft aufgegossen war… Eine interessante Erfahrung, die ich aber kein weiteres Mal machen möchte.
Weiter von Trebnitz fuhr ich nach Wohlau/Wołów, einer kleinen Stadt, die Hauptstadt eines schlesischen Teilfürstentums war, das aber ständig seine Besitzer wechselte. Der letzte Herzog von Wohlau war übrigens Georg Wilhelm (1660–1675), der in dem Mausoleum in Liegnitz beigesetzte letzte Angehörigen des Geschlecht der Piasten. Er trug den offiziellen Titel eines „Herzogs von Liegnitz, Brieg und Wohlau“.
Meine letzte Station war das Kloster Leubus/Lubiąż. Hier wurde 1163 das erste Zisterzienserkloster Schlesiens gegründet, das Mutterkloster vieler weiterer Klöster. Das Kloster wurde durch die Hussitenkriege, die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg in Mitleidenschaft gezogen und 1810 von den Preußen geschlossen. Erst seit 1989 wird es wieder langsam renoviert, manche Räume kann man besichtigen. Ich war gegen Abend da, wo alles schon geschlossen war, aber ich konnte im Gelände herumlaufen und die imposanten Gebäude zumindest von außen besichtigen.
Dann bin ich nach Liegnitz zurückgefahren, bei sehr schwülem Wetter und in Erwartung der seit Tagen angekündigten großen Gewitter. Ich habe sogar mehrere Warn-SMS von polnischen Behörden bekommen und ahnte, dass es wirklich bald anfangen würde. Ich habe es dann noch geschafft, in der Altstadt zu Abend zu essen, und während dieser Zeit kam der erste Regen. Er war zwar schon vorbei, als ich zur Unterkunft zurücklief, aber dort war inzwischen der Strom ausgefallen… Überzeugt davon, dass das bald in Ordnung gebracht würde, bin ich einfach ins Bett gegangen.














