Tilman Bergers Blog

20. August 2021: Przemyśl

Inzwischen bin ich mit dem Blog noch weiter im Verzug – ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Urlaub zu Ende geht und ich mich gedanklich und seit gestern auch ganz real auf dem Rückweg befinde. Bzw. zu dem Moment, als ich diesen Text zu Ende schrieb, war ich sogar schon wieder in Tübingen. Trotzdem will ich natürlich noch von der Besichtigung von Przemyśl berichten, wo ich am letzten Freitag den ganzen Tag unterwegs war.

Am Vormittag habe ich mich zunächst mit der Beschaffung von Kleingeld für die Parkuhr befasst und bin dann in die Innenstadt gegangen, in Richtung der Kathedrale. Wie ich in meinem Bericht von 2015 nachgelesen hatte, bestand damals das Problem darin, dass ich nur kurz in die Kathedrale hineingehen und insbesondere nicht die Fredro-Kapelle besichtigen konnte, das wollte ich jetzt nachholen. Die Stadt war am Freitagvormittag erstaunlich leer, so war es auch nicht so schwierig, an verschiedenen Stellen zu fotografieren. Ich kam zunächst an der Hauptkirche die Unierten vorbei, die sich hoch am Hang erhebt, und näherte mich dann von hinten der katholischen Kathedrale. Sie steht mitten unter anderen Häusern, so kann man sie nur der Seite ganz sehen (und fotografieren). Die Kirche war offen und zugänglich, so konnte ich in Ruhe in ihr herumlaufen. Allerdings war sie schlecht beschriftet und es gab auch keinen Kirchenführer, der bei der Orientierung hätte helfen können. Die reich ausgestattete Fredro-Kapelle aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts habe ich gefunden und bewundert, traute mich aber nicht, sie zu fotografieren. Und die ihr gegenüberliegende Drohojowski-Kapelle war nicht zugänglich, weil sie renoviert wird. Das ist schade, denn genau diese Kapelle hätte ich mir gerne näher angeschaut – in ihr gab es nämlich am 19. Mai 1621 einen Kampf zwischen verfeindeten Adligen, von denen einer außerdem noch den Beinamen diabeł trug (Stanisław Diabeł Stadnicki).

Sehr beeindruckt hat mich schließlich auch, dass es am Eingang zur Kirche nicht nur den heute obligatorischen Behälter mit Desinfektionsmittel gab, sondern auch einen ähnlichen Behälter mit Weihwasser… Die katholische Kirche geht mit der Zeit!

Von der Kathedrale aus bin ich dann zum Burghügel hinaufgestiegen. Auch dieser Weg ist nicht besonders gut beschildert, vor allem aber sieht man den Hügel auch erst, wenn man fast schon oben ist. Der Burghügel war dann genauso wie 2015, mit Überresten von sehr alten Gebäuden (darunter den Fundamenten einer Rotunde) auf dem Hof und einem Jagdschlösschen aus dem 19. Jahrhundert, in dem ein Theatermuseum untergebracht ist. Von oben hat man einen guten Ausblick auf die Stadt, die unterirdische Räume sind eher enttäuschend (sie werden als Lapidarien bezeichnet, aber nur in einem von ihnen gab es ein paar mittelalterliche Kapitelle. Nach der Besichtigung des Museums saß ich noch einige Zeit in einem kleinen Café auf dem Burghof und habe einen Kaffee getrunken. Als dann aber eine Gruppe von ca. 25 Radfahrerinnen und Radfahrern das Café stürmte (die offenbar mit dem Mountainbike den Burghügel hinaufgefahren waren), habe ich mich auf den Rückweg in die Stadt gemacht.

In der Nähe meines Hotels entdeckte ich einen Laden, in dem Kebab verkauft wird, und neben ihm einen Kebsalon. Von dem Namen war ich gleich fasziniert (und natürlich auch von der Art der Wortbildung!), und so beschloss ich, dort nachzuschauen, ob es vielleicht auch etwas Vegetarisches gibt. Und tatsächlich erblickte ich auf der Tafel, wo die Angebote standen, eine Speise (leider habe ich den Namen vergessen), die es in vier Varianten gab, drei mit irgendwelchen Fleischsorten und die dritte „auf griechische Art“, mit Gurken und Zwiebeln. Also habe ich diese vierte Version bestellt, an einer Art Schalter nahm ein Kellner meine Bestellung auf (ziemlich umständlich) und stellte dann die Frage jakie mięso?, das bedeutet „welches Fleisch?“. Auf meinen Hinweis, ich hätte doch gerade die fleischlose Variante gewählt, reagierte er mit Unverständnis – alle Varianten seien mit Fleisch. Das kam also nicht in Frage, aber glücklicherweise gab es Falafel (übrigens ziemlich gut zubereitet), die habe ich gegessen.

Nach einer etwas längeren Mittagspause im Hotel wollte ich nachmittags einen Spaziergang zum jüdischen Friedhof machen. Der liegt etwa anderthalb Kilometer von Stadtzentrum entfernt und müsste gut zu Fuß erreichen sein. Aber obwohl ich mir den Weg auf einem Stadtplan angeschaut hatte und obwohl ich ständig auf meinem Handy GoogleMaps konsultierte, habe ich es geschafft, mich ziemlich zu verirren und einen viel längeren Weg zu laufen, mit teilweise merkwürdigen Erlebnissen. So kam ich an einem nach den Fürsten Lubomirski benannten Park vorbei, in dem sich offenbar heute eine Verwaltungshochschule befindet. Und etwas weiter stand am Straßenrand auch noch das Hinweisschild zum „Rektorat des Erzengels Michael“. Was es nicht alles gibt…

Aber irgendwann stand ich dann wirklich am Tor des jüdischen Friedhofs, der auch tatsächlich geöffnet hatte. Ein kleiner Weg führt von der Straße auf den Friedhof hinein, am Anfang befinden sich einige neue Gräber aus der Nachkriegszeit, dann Denkmäler für die Holocaust Umgekommenen. Dazu muss man wissen, dass die Juden von Przemyśl ein spezifisches Schicksal hatten. Die Stadt wurde am 1. September 1939 von den Deutschen besetzt, die sie am 28. September an die Sowjetunion übergaben, nachdem sie mehrere hundert Juden ermordet hatten. Unter der sowjetischen Herrschaft konnten die verbliebenen Juden zunächst relativ ruhig leben, wurden dann aber nach der erneuten Besetzung der Stadt am 28. Juni 1941 genauso verfolgt und ermordet wie in anderen Gebieten. Nach den Denkmälern kommen dann viele ältere Gräber.

Der Rückweg vom jüdischen Friedhof in die Stadt war deutlich einfacher. Unterwegs habe ich noch das Bestattungsunternehmen Hades bewundert und verschiedene Häuser aus der Gründerzeit, darunter auch die 1910-18 erbaute Neue Synagoge, die nach dem Krieg zeitweise als Bibliothek genutzt wurde und jetzt wieder der jüdischen Gemeinde gehört, die sie allerdings nicht verwendet. Das Gebäude steht leer und ist in keinem guten Zustand.

Abends war ich dann in einem alternativen Restaurant mit Küche des Vorkarpatenlandes (Podkarpacka kuchnia). Dieses Restaurant hatte ein breites vegetarisches Angebot, aber wohl weniger deswegen, weil die Küche des Vorkarpatenlandes zur Fleischlosigkeit neigen würden, als vielmehr wegen der allgemeinen Einstellung der Betreiber des Restaurants…

 

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